■ BVG in der Kritik: Herzlose Schnauzen
Ungerührt beobachtet der BVG-Kartenverkäufer sein Publikum vor dem Kabuff. In Zeitlupe öffnet er die Bild und greift zur Stulle. Der Mann, wir ahnen es, hat Pause. „Vorne steht 'ne Maschine“, rät er den Wartenden. Die jedoch hat auch Pause. Sie will nicht wechseln. Des BVGlers Stichwort: „Ick will ooch nich wechseln. Sehnse ma det Schild: Fahrgeld passend bereithalten.“ Schließlich sei er keine Bank, und überhaupt: „Loofen is jesund.“ Diskussion zwecklos, ab zur Busstation. Der Busfahrer scheint im Dienst. Verschlagen beobachtet er die heranstolpernden Nachverkehrs- Fans. Kurz bevor der erste seinen Bus erreicht, fährt er an und feixt sich eins angesichts der wütenden Menge. In Bestlaune erreicht er den nächsten Stopp – und versagt: Haarscharf verfehlt sein Außenspiegel den frechen Passanten, der sich zum Bordsteinrand vorgewagt hatte. „Beschweren Sie sich doch“, schreit er dem zu Tode Erschrockenen zu. Das tat er, und viele mit ihm, meldete gestern der Fahrgastverband IGEB. Im ersten Quartal 1994 ist ein neuer Rekord von 681 Eingaben (1. Quartal 1993: 581) zu verzeichnen. Jedes siebte Ärgernis: Unfreundlichkeit und Faulheit des Personals, pampiges Verhalten in Fahrzeugen und an Schaltern. „Schwarze Schafe“, bedauert BVG-Sprecher Ulrich Mohnecke und verspricht disziplinarische Maßnahmen gegen Image-Saboteure. Denn das Umerziehungsprogramm – Schulung durch Psychologen, Fahrer- Gesprächsgruppen – fruchtet wenig. „Das ist ein langwieriger Prozeß“, sagt Mohneke. Schließlich war die „Schnauze mit Herz“ jahrzehntelang das typische Erkennungszeichen für Berliner. „Nun hat es wohl einen Wertewandel gegeben“, meint Mohnecke. Den beklagen auch die Kunden, allerdings bei den Busfahrern: „Viel Schnauze, wenig Herz.“ Michaela Schießl
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