BVG-Klage gegen Europawahlrecht: 2,8 Millionen verlorene Stimmen
Auch bei der Europawahl gilt in Deutschland die Fünfprozenthürde und verstellt Kleinparteien den Weg. Drei Wähler klagen vorm Bundesverfassungsgericht.
FREIBURG taz | Muss die Europawahl in Deutschland wiederholt werden? Darüber verhandelte am Dienstag das Bundesverfassungsgericht. Drei Wähler, darunter der Rechtsprofessor Hans Herbert von Arnim, hatten gegen das Wahlgesetz geklagt. Es gebe bei Europawahlen keine Rechtfertigung für die übliche Fünfprozenthürde, sie verzerre unzulässig das Wahlergebnis.
Die letzten Europawahlen im Juni 2009 verliefen eigentlich unspektakulär. Die etablierten Parteien nahmen die Fünfprozenthürde mühelos (CDU: 30 %, SPD 20 %, Grüne 12 %, FDP 11 %, Linke 7,5 %, CSU 7,2 %). Ohne Sperrklausel hätten aber auch sechs Kleinparteien zumindest einen Abgeordneten nach Europa schicken können (Freie Wähler 1,7 %, Reps 1,3 %, Tierschützer 1,1 %, Familienpartei 1,0 %, Piraten 0,9 %, Rentner 0,8 %). Deren Mandate gingen stattdessen an die etablierten Parteien.
Eine "krasse Ungerechtigkeit" sei das, schimpfte Hans Herbert von Arnim. "Da fallen die Stimmen von 2,8 Millionen Wählern einfach unter den Tisch." Auf insgesamt 10,8 Prozent addiere sich der Anteil der "verlorenen Stimmen".
Dabei gälten die üblichen Gründe für eine Fünfprozenthürde bei einer Europawahl gar nicht. "Das Europaparlament muss schließlich keine Regierung wählen und stützen", so von Arnim. "Jede weitere Zersplitterung schwächt aber das Europaparlament gegenüber dem Rat," entgegnete der Brüsseler Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne (CDU). "Auch bei uns braucht man stabile Mehrheiten".
Derzeit gibt es im Europäischen Parlament 164 Parteien, die sich in sieben Fraktionen zusammengefunden haben (Christ- und Sozialdemokraten, Liberale, Grüne, Linke, Konservative und Europagegner). Es wird erwartet, dass sich auch die meisten Vertreter deutscher Kleinparteien einer der großen Fraktionen anschließen und die Zahl der fraktionslosen Abgeordneten nur wenig erhöhen würden.
Zersplitterung des deutschen Abgeordnetenkontingents
Deshalb setzten die Vertreter der Altparteien nun ganz auf die nationale Karte. "Ein Verzicht auf die Fünfprozenthürde würde die Durchsetzung deutscher Interessen schwächen", sagte der CDU-Abgeordnete Elmar Brok. Derzeit seien deutsche Abgeordnete zum Beispiel ungewöhnlich oft Fraktions- oder Ausschussvorsitzende. Dies sei bei einer Zersplitterung des deutschen Abgeordnetenkontingents in Gefahr.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 1979 die Fünfprozenthürde bei Europawahlen gebilligt, sie 2008 aber bei Kommunalwahlen beanstandet. Deshalb hofft von Arnim nun auf einen Erfolg auch bei der Europawahl. Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.
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