BVB in der Champions League: Lach- und Schießverein
Mit 4:0 zerlegt Borussia Dortmund niemand geringeren als Atlético Madrid. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines bemerkenswerten Spielrauschs.
Also gratulierte er dem BVB zu dessen rasend schnellem Umschaltspiel, zur offensiven Grundhaltung, zum geschickten Verhalten nach Balleroberungen. Und dazu kommentierte Simeone, der in seinen sieben Jahren bei Atlético in der Champions League noch nie so hoch verloren hat, schicksalsergeben: „Wir waren ein paar Mal nah dran an Toren. Aber spätestens nach dem 0:3 war Dortmund sehr stark, da kann so was passieren.“
Vor genau einem Jahr, nach dem dritten Gruppenspiel in der Champions League, waren es noch die Schwarz-Gelben, die sich fragten: Wie konnte das passieren? Dem peinlichen 1:1 beim internationalen Fliegengewicht Apoel Nikosia folgte zwei Wochen später ein weiteres 1:1 gegen die Zyprioten, in der eigenen Arena. Es blieben die einzigen zwei Pünktchen, die der BVB in der Gruppenphase ergatterte. Dass der Königsklassen-Finalist von 2013 als Dritter trotzdem in der Europa League weitermachen durfte, bezeichnete der inzwischen nach Bremen gewechselte Nuri Sahin damals als „Geschenk“.
Zwölf Monate später beschenken die Westfalen sich regelmäßig selbst: 37 Treffer in zwölf Pflichtspielen sind atemberaubend, die mittlerweile 16 Jokertore rekordverdächtig, null Gegentreffer in der Champions League beeindruckend – und der Ausblick in Europas höchster Spielklasse auch dank des 1:1 im Parallelspiel Brügge gegen Monaco grandios. „Atlético war der Gradmesser, und den haben wir bestanden – mehr als das“, sagt Ex-Profi Sebastian Kehl, seit Sommer Leiter der Dortmunder Lizenzspielerabteilung. Und Kapitän Marco Reus schwärmt: „Wir haben so einen Rausch, seit mehreren Wochen schon.“
Und es sind jedes Mal andere, die die Borussia in diesen rauschhaften Zustand versetzen. Gegen seine Landsleute aus Madrid wurde der spanische Torproduzent Paco Alcácer, ausgeliehen aus Barcelona, geschont, stand nicht einmal im Kader. Dafür glänzte nun der portugiesische Einwechselspieler Raphaël Guerreiro, in dieser Saison bislang kaum in Erscheinung getreten, als zweifacher Torschütze. Oder der rasende Linksverteidiger Achraf Hakimi, Leihgabe von Real Madrid und Passgeber zu den Dortmunder Treffern eins, zwei und drei.
„Wer nicht schießt, der kann nicht treffen“
Ohnehin erweisen sich alle Sommerzugänge des Bundesligaspitzenreiters als echte Verstärkungen – mit Axel Witsel als Leuchtturm. Im defensiven Mittelfeld überzeugt der belgische Nationalspieler als Taktgeber, besticht mit seinem ausgeprägten Gespür für die jeweils angesagte Geschwindigkeit im Spiel. Zudem sorgte er für die 1:0-Pausenführung des BVB – mit einem abgefälschten Schuss, den Augenzeuge Reus sehr schlicht charakterisierte: „Er handelt nach dem Motto: Wer nicht schießt, der kann nicht treffen.“
Diego Simeone, Trainer von Atlético Madrid
Chefübungsleiter Lucien Favre betrachtet den Wert des 29-jährigen Witsel für sein Team vor allem unter dem Aspekt Ausgewogenheit. „Er bringt die Ruhe in unser Spiel“, erklärt der gewissenhafte Schweizer. Dabei erwähnt er, wie viele blutjunge Akteure gegen Atlético mal wieder im gelb-schwarzen Dress steckten – und schlussfolgert: „Zum Glück haben wir diese erfahrenen Spieler wie Witsel, so finden wir die richtige Balance in der Mannschaft.“
Denn auch wenn man es sich angesichts des traumhaften Laufs der Borussen, die am Ende selbst das karstige, widerspenstige Gebirge Atlético regelrecht stürmten, kaum vorstellen kann: Auch auf die Dortmunder Lach- und Schießgesellschaft warten wieder dunklere Tage. „Diese Form werden wir nicht ewig halten – weil wir viele junge Spieler haben“, prophezeit Reus, der neue Papa der Kompanie, der zugleich empfiehlt: „Trotzdem sollten wir diese Momente jetzt genießen.“
Eine sehr passable Grundlage, die ersten Wellentäler gut zu überstehen, hat sich Favres Ensemble inzwischen geschaffen: In der Bundesliga, wo der FC Bayern am 10. November zum nationalen Gradmesser wird. Und in der Champions League, wo der Sprung ins Achtelfinale nur noch eine Formalie ist – und der BVB am Mittwochabend einen neuen, glühenden Fan gewonnen hat: Diego Simeone. „Hoffentlich kann Dortmund so weiterspielen“, bat der 48-jährige Argentinier, bevor er das Stadion verließ. „Denn es ist schön, ihnen zuzuschauen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs