BÜRGERVERSICHERUNG : Die neue Mittelkasse
Nur mal angenommen, in Deutschland wäre für alle Erwerbstätigen der gleiche Beitrag für die Krankenversicherung fällig, sagen wir, 11 Prozent, paritätisch finanziert von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Es gäbe keine Beitragsbemessungsgrenze mehr, keine Unterschiede mehr zwischen gesetzlicher und privater Versicherung. Ein solches System wäre eine Art Sozialismus in der Krankenversicherung. Eine schöne Utopie? Die Grünen warnen davor: Eine Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze würde die „Solidaritätsbereitschaft der besser verdienenden und gesünderen Versicherten überfordern“. Um die „Solidaritätsbereitschaft“ aber geht es, wenn über eine Bürgerversicherung im deutschen Gesundheitssystem gestritten wird.
KOMMENTARvon BARBARA DRIBBUSCH
Denn Bürgerversicherung klingt erstmal gut, irgendwie nach mehr Gleichheit und Gerechtigkeit. So, als käme der Bürger dabei besonders gut weg. Nur dass der Name eben in die Irre führt: Manche Bürger müssen ein bisschen mehr einzahlen als jetzt, für andere wird es billiger. Geschenke für alle gibt es nicht.
Die Grundidee lautet: Besser Verdienende sollen sich künftig nicht mehr so komfortabel in die Privatkassen davonstehlen können, Beamte bekommen die gleiche Krankenversicherung wie alle anderen und Vermögende müssen auch von Miet- und Zinseinkünften Beiträge abzweigen.
Das klingt durchaus radikal – aber wenn es konkret wird, eiert die SPD herum. Erst tickerten Meldungen über die Agenturen, nach denen die Rechte der Privatkassen empfindlich eingeschränkt werden. Dann wieder rudert die SPD-Arbeitsgruppe ein bisschen zurück. Sie degradiert die Einbeziehung der privaten Kassen in die Bürgerversicherung zur „gesellschaftspolitischen Überlegung“.
Die SPD hat Probleme mit den Erwartungen ihrer Klientel aus den bürgerlichen Milieus, diese hätten Probleme mit der neuen „Mittelkasse“. Denn viele jüngere Privatversicherte und Beamte wollen natürlich nicht, dass ihre Bedingungen verschlechtert werden. Und eine Bürgerversicherung, von der privat versicherte Rentner durch niedrigere Prämien profitieren würden, klingt auch nicht nach mehr Gerechtigkeit.
Dass die Konzepte für eine Bürgerversicherung jetzt konkret werden sollen, hat also einen Vorteil: Bislang diente der Begriff dazu, Konflikte zu verschleiern. Doch jetzt kommen die wahren Verteilungsprobleme auf den Tisch. Und das ist gut.