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Archiv-Artikel

BUSH ÜBERTREIBT IN GEORGIEN. DIE REFORMEN TAUGEN NICHT ALS VORBILD Viel Arbeit und zu viel Lob dafür

Im Kaukasus geizte US-Präsident Bush nicht mit schmeichelhaften Superlativen. Das passt zur Region; hier schienen sich zwei zueinander passende Mentalitäten gefunden zu haben. Bush hat den furchtlosen georgischen Staatspräsidenten Michail Saakaschwili offensichtlich in sein Herz geschlossen und ernannte den jungen Präsidenten gleichsam zum personifizierten Demokratieexport, der für den gesamten postsowjetischen Raum tauge.

In Tiflis, das die Spitze des russischen Kommissstiefels immer wieder zu spüren bekommt, wurde diese Aussage frenetisch bejubelt. Doch ob sich das junge Staatsgebilde als Vorbild eignet, steht dahin. Die Vorreiterrolle bis zur Rosenrevolution im Herbst 2003 hat Michail Saakaschwili glänzend ausgefüllt. Beim Aufbau demokratischer Strukturen aber tut er sich noch schwer. Kein Wunder: Anders als etwa die baltischen Staaten hat Georgien in seiner Geschichte keinerlei demokratische Erfahrungen gemacht. Nach wie vor dominieren persönliche Beziehungen und Verpflichtungen, die auf einem jahrhundertealten Clansystem beruhen, Strukturen, die das Funktionieren einer vormodernen Gesellschaft gewährleisteten. Solchen Gesellschaften fällt der Umbau sozialer und staatlicher Strukturen schwer; er nimmt meist mehr als die Zeitspanne einer Generation in Anspruch.

So ist denn auch nach der Revolution die Kritik an Georgiens neuem Messias nicht verstummt. Die Opposition wirft ihm vor, zu wenig gegen die alten Übel unternommen zu haben. Korruption herrscht weiterhin. Auch die neuen Sicherheitsorgane sollen sich Menschenrechtsverletzungen zu schulden haben kommen lassen. Grundsätzlich beklagen Opponenten, die Toleranz im Umgang mit politischen Gegnern und der kritischen Presse hätte eng gesteckte Grenzen.

Emanzipationsbewegungen anderswo tun also besser daran, sich auf eigene Besonderheiten und Stärken zu besinnen. Und wenn nötig, sollten sie ihre Vorbilder woanders suchen. Für Weißrussland und die Ukraine liegt das Baltikum einfach näher.

KLAUS-HELGE DONATH