BUNDESPRÄSIDENTEN-KÜR: "Das ist ein Medien-Problem"
Zahra Mohammadzadeh will bei Bundesversammlung für Joachim Gauck stimmen - auch wenn seine Äußerungen zur Integrationspolitik umstritten sind.
taz: Frau Mohammadzadeh, hatten Sie sich für die Bundesversammlung beworben?
Zahra Mohammadzadeh: Nein, ich bin vorgeschlagen worden. Und ich freue mich riesig darüber. Es bedeutet mir sehr viel.
Warum?
Es ist für mich eine große Ehre, die Bremer Grünen dort vertreten zu dürfen. Das ist für mich ein Akt auch der Integration und der politischen Partizipation.
Na, viel zu partizipieren gibts ja nicht. Der Kandidat…
56, promovierte Biologin, integrationspolitische Sprecherin der grünen Bürgerschaftsfraktion, die sie als Delegierte in die Bundesversammlung entsendet.
…für mich hat diese Wahl unabhängig davon, wer gewählt werden soll, Bedeutung. Die Bundesversammlung ist keine bloße Dekoration. Und dass ich dorthin entsandt werde, aus meinem Bundesland, das hat für mich große Symbolkraft.
Einigen MigrantInnen, auch aus den Grünenfraktionen in Bund und Ländern, gilt Gauck als unwählbar. Ihnen auch?
Einen Menschen zu wählen heißt nicht, für alles zu sein, was er gemacht hat.
Klar. Aber für etwas.
Mir gefällt, dass Joachim Gauck in seinem neuen Buch darauf hinweist, dass Geld alleine nicht glücklich macht, und wir auch nach Sinn suchen müssen.
Keine besonders originelle Ansicht gerade für einen Pastor!
Ich kann nicht beurteilen, ob das originell ist. Auch fühle ich mich dem Kandidaten auf gewisse Weise sogar persönlich verbunden: Die Frage des Zusammenlebens, der Integration von Ost- und West-Deutschen, scheint mir mit meinen eigenen Themen verwandt.
Naja - integrationspolitisch hat er sich kaum hervorgetan, außer mit befremdlichen Äußerungen zu Herrn Sarrazin. Im Berliner Abgeordnetenhaus hat er den MigrantInnen, überspitzt gesagt, klar gemacht, dass sie sich gefälligst anzustrengen hätten…
So habe ich das nicht verstanden. Ich bin der Meinung, dass es ihm darum ging, wegzukommen von einer paternalistischen Haltung bei den integrationspolitischen Maßnahmen. Das ist eine Ansicht, die ich teile: Ich halte nichts davon, MigrantInnen zu entmündigen. Es bringt nichts, irgendwelche Frauen aus islamischen Ländern oder migrantische Familien mit vielen Kindern zu bedauern und als Opfer der Umstände wahrzunehmen. Es geht darum, diese Menschen zu aktivieren.
Gauck arbeitet dafür mit klar feindseligen Stereotypen von "eingewanderten Familien", die, aus einer Verweigerungshaltung heraus, "nach Jahren" die Landessprache nicht kennten und an denen "alle Integrationsbemühungen scheitern". Erinnert Sie das nicht an Sarrazin, den er gut findet?
Er hat nicht gesagt, dass er Sarrazin gut findet.
Stimmt. Mutig hat er ihn genannt.
Er hat auch dessen Biologismus-Thesen kritisiert. Mut sieht Gauck sicher nicht darin, populistische Thesen zu verbreiten, sondern vielmehr darin, ein schwieriges Thema anzusprechen, das aus der Angst heraus, falsch verstanden werden zu können, nicht angerührt wird. Wenn ,heiße Eisen' von Demokraten zu sehr gemieden werden, überlässt man wichtige Themen wie die Integration den Populisten wie Sarrazin. Richtig ist, dass über Gauck im Netz derzeit viel Widersprüchliches zu lesen ist.
Er hat im Tagesspiegel Sarrazin gelobt und kurz drauf der Süddeutschen bestätigt, dass dessen biologistischen Auslassungen ein Problem sind.
Wir haben in der Politik immer wieder Menschen, die Äußerungen machen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen - und wir müssen auch den Kontext und die Zwischentöne betrachten, die beim Zitieren anderer Medien mitunter verloren gehen.
Was finden Sie gut an ihm?
Wir brauchen in Deutschland eine konsequente Politik gegen Menschenrechtsverletzungen. Das ist etwas, was ich von Gauck erwarte. Das hat er auch als Vorstand der Stiftung ,Gegen Vergessen - Für Demokratie' verfolgt. Er hat sich auch sehr für die Aufklärung der Nazimorde engagiert
Es gab im November eine Pressemitteilung dazu.
Nach dem, was ich von BremerInnen weiß, die in dieser Stiftung mitarbeiten, hat er sich in der Sache persönlich stark eingebracht. Noch einmal: Man muss ihn bestimmt kritisieren. Aber man kann nicht sagen, weil er da oder dort diese oder jene Äußerung gemacht hat, ist er nicht wählbar. Ihn zu unterstützen war eine gemeinsame Entscheidung.
Gemeinsam - von wem?
Von den Grünen - erst im Bundestag, aber auch wir hier haben das besprochen. Ich kenne Gauck nicht persönlich, aber sein Verständnis von Freiheit, selbstbestimmt zu leben - das ist für mich entscheidend. Ob er dabei das Gleiche meint wie ich - das weiß ich nicht.
Sie können ihn ja fragen!
Ja, ich bekomme die Gelegenheit. Das darf man nie unterschätzen.
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