: BUCHTIPP
Indiens Zauber
„Er sprach von Liebe, von Wahrheit, Hoffnung … Sein Worte waren zuckersüß wie manche Botschaften auf Glückwunschkarten, die einem schier Übelkeit verursachen.“ Tahir Shah ist als Zauberlehrling unterwegs in Indien, immer auf der Suche nach Insiderinformation und dem magischen Indien. Unter anderem besucht er den Guru Sri Gobind, der in seinem herzförmig ausgestalten Aschram in Madras seine Jünger für sich einnimmt. Aber bevor sich Tahir Shah, Nachfahre afghanischer Krieger und in England aufgewachsen, zu Schamanen, Heilern und Hexen auf den Weg macht, wird er von seinem Meister Feroz aufs härteste in den Künsten der Illusion unterrichtet. Vor allem in der Fähigkeit, auch noch das kleinste Detail wahrzunehmen.
Tahir Shah nimmt seine LeserInnen in dem Buch „Der Zauberlehrling von Kalkutta“ mit auf eine Reise durch ein skurriles Indien: zu Skelettverkäufern, Henkern, Gauklern, Benzinbrauern und Seelenverführern. Mit ihm reist der 13-jährige Bhalu, ein Straßenjunge und charismatischer Betrüger der kleinen Leute. Shas Erlebnisse bringen das gewachsene ökologische System Kalkuttas genauso nahe wie den Kampf ums Überleben auf dem Subkontinent und die daraus resultierende Geschäftstüchtigkeit von Goldsuchern in den Rinnsteinen, Leichenfledderern oder dem Handlungsreisenden mit dem „Toupet Direktor“. Für dieses werden nur die schönsten Haare, die sich die Pilger als Opfer im Tempel scheren ließen, verwendet. Als Perücken werden die Haare in alle Welt exportiert. Geschäftstüchtigkeit und Götterfurcht liegen eng beieinander. Und an Wundern kann gut verdient werden. Für diese sind die Menschen bis zum letzten Cent anfällig. Tahir Shah sucht die Wunder und die Hoffnung, die dahinter lauert: die Hoffnung auf Regen, auf Glück und Gesundheit.
Die Leidenschaft für das Spiel mit der Illusion, der Zauberei, der Shah schon als Kind verfiel, treibt den Autor durch Indien. Sein Reisebuch lüftet so manche magischen Geheimnisse – auf deren Suche viele Europäer im esoterischen Wahn hängen blieben –, ohne sie zu zerstören: Auch wenn der Autor noch den letzten Trick beim Spiel mit der Illusion entlarvt, gibt es für ihn keine größere Kunst als die des Illusionisten. Ein wunderschönes und spannendes Reisebuch.
EDITH KRESTA
Tahir Shah: „Der Zauberlehrling von Kalkutta“. Droemer Verlag 2004, 22,90 €