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BRUCHSTÜCKE

■ „van Gogh: Ich bin“ im Bahnhof Westend

Wie lieben wir sie doch, jene großartigen Menschen, denen ihre Kunst radikale, fast uneinlösbare Forderung an das Leben war. Nerval, Rimbaud, Artaud, van Gogh riskieren sich selbst, bis ihnen die Krankheit Fesseln anlegte oder die Gesellschaft, die die Allgewalt ihres Fühlens nur mit der verdammenden Kategorie des Wahnsinns fassen konnte.

„van Gogh: Ich bin“, inszeniert von Ari Untamo Lepola, ist eine szenische Umsetzung einer Auswahl von Briefen van Goghs. Er sei ein leidenschaftlicher Mensch, erfahren wir, er tue unsinnige Dinge, sein Aufzug sei shocking, seine Faszination für andere Maler und seine Angst vor der weißen Leinwand. So manches, was jeder oder wenigstens jeder Maler einmal gesagt haben könnte. Spät erst seine Religiosität: Vielleicht erscheint ein Mensch, der an Gott glaubt, Gott ist Liebe, vielleicht. (Solch ein Mensch glaubt nicht, daß Gott Liebe ist, er hat Gottes Liebe erfahren - d.S.)

Vielleicht ist Gott das Wort, das van Gogh gebrauchen muß für ein unendliches Selbstempfinden, das er anders nicht ausprechen kann. Manches mag unausgesprochen sein, seine Sprache mag wirklich wenig essentiell sein, weit weniger von ihm ausdrücken, als es seine Malerei vermag. So müßte die Beklemmung, Verzweiflung fühlbar werden, die hinter diesen hilflos allgemeinen Worten steht, müßte sich in Bildern oder reinem Gefühlsausdruck äußern.

Nun ist die Inszenierung auch reiflich bemüht, dem Text stimmliche und gestische Akzente zu assoziieren. Der junge Mann (Heinrich Rolfing), der im malerischen Gewand im kerzenerleuchteten Atelier erscheint, singt und schreit den Text bisweilen, er treibt auf verschiedene Arten sein Spiel mit einem Stuhl, verfällt in Zittern und rhythmisches Klopfen, stürzt und schiebt so über den Boden, bemalt schließlich sich und die Leinwand. Wir bräuchten nicht erst seine wilden Pinselstriche, um überzeugt zu sein: er ist nicht van Gogh, das heißt natürlich, er ist nicht der, der uns kraft seiner Subjektivität etwas von der van Goghs spüren und uns so vergessen läßt, daß er ihn nur darstellt.

Wir sehen einen Schauspieler, der durchaus fähig ist, seine voluminöse Stimme wie seine Geste präzise einzusetzen, und sie einsetzt, als folge er einer Partitur, nie so eins mit der Rolle wird, daß er auch spontan in ihr reagieren könnte.

Überhaupt scheint die Inszenierung dem Mißverständnis zu unterliegen, daß es schon genüge, einer Vorlage Schauspieltechniken und Regieeinfälle zuzusetzen, die auf sie wie auf jede andere passen. Die Elemente kommen nicht zu der Einheit, die allein der Vorlage zu einem ihr eigenen Leben auf der Bühne verhelfen könnte.

glagla

„van Gogh: Ich bin“ in der Künstlerwerkstatt Bahnhof Westend, Spandauerdamm, Bus 54, 74, am 23., 25., 26. und 30. Juni; und am 1., 2. und 3. Juli, jeweils um 21 Uhr.

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