BRDDRHunderttausende Arbeiter gingen am 17. Juni 1953 auf die Straße, um gegen ihre Regierung zu protestieren. Die monumentale Briefmarke der Deutschen Post Berlin erinnert an den Aufstand: Sonderbares Gedenken
Fünf Fenster unter einem dicken Balken, fertig ist das Brandenburger Tor. Selten ist das Wahrzeichen Berlins minimalistischer skizziert worden als auf dieser Sonderbriefmarke von 1955. Die Quadriga fehlt nämlich auf dem Wertzeichen, mit dem man damals eine Postsendung freimachen konnte, die heute einem Großbrief und damit einem Porto von 1,45 Euro entspricht.
Der heute unbekannte Zeichner sparte sich das Pferdefuhrwerk mit der Lady, die das preußische eiserne Kreuz hielt, aber nicht einfach. Es war tatsächlich kriegsbedingt bis Ende der 50er Jahre von der Torkrone verschwunden. So um jeden historischen Verweis entledigt, war das Tor frei, zum Piktogramm der deutsch-deutschen Geschichte zu werden.
Und nicht nur die Quadriga fehlt, sondern auch die schwarz-rot-goldene Fahne, die am 17. Juni 1953 auf dem Tor in einem ziemlich grauen Himmel flatterte, bevor die Sowjetarmee dem ersten großen Massenaufstand in ihrem Einflussgebiet ein blutiges Ende setzte. Hunderttausende Demonstranten waren dem Aufruf zum Generalstreik gefolgt und demonstrierten Solidarität mit den Ostberliner Bauarbeitern, die zu allererst mehr Lohn forderten, aber auch freie und faire Wahlen.
Den Briefmarkenmaler interessiert es 1955 offenbar kaum, dass in Westdeutschland der 17. Juni schon seit zwei Jahren als „Tag der Deutschen Einheit“ gesetzlicher Feiertag war. Nein, er zitiert sozialistische Symbolik – den rot-weißen Strahlenkranz, die aufgehende Sonne – wie ihn die Propagandamalerei damals gern hinter Mao oder Stalin setzte. Wie ironisch! Ungefähr so wie den Strahlenkranz, der jüngst eine Renaissance zur Ikonisierung von Barack Obama erlebte, 2017 auf Plakaten hinter den bärtigen Eierkopf des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz zu montieren.
Vielleicht wünschte sich der Zeichner aber auch ganz ernsthaft, dass der Westen mehr vom Revolutionswillen der streikenden Ostdeutschen übernimmt: Wenn es die Chance gab, wurde sie verpasst – nach 1953 genauso wie nach 1989. JÖRN KABISCH
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