BMX-Meisterschaft: Ganz gechillt nen Salto hinlegen
Konkurrenzlos ist sie, die Atmosphäre bei den deutschen BMX-Meisterschaften im Mellowpark in Köpenick. Denn der Wettbewerb spielt für die Radakrobaten nicht unbedingt die Hauptrolle. Dabei riskieren sie für den Sport manchmal ihr Leben
Spätestens an der Kasse wird eigentlich jedem Unwissenden verraten, was hier geboten wird. Karl-Heinz Kloppisch hält es trotzdem für notwendig, noch einmal darauf hinzuweisen. "Das sieht alles so locker aus, aber das sind die BMX German Open, die Deutsche Meisterschaft also", erklärt der Pressesprecher des Mellowparks in Köpenick.
Von Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken ist unter den Radakrobaten tatsächlich wenig zu spüren. Im allgemein gepflegten englisch-deutschen Kauderwelsch ist auffällig viel vom "Chillen" und "Jammen" die Rede, vom Entspannen und Improvisieren. Rangfolgen und Ergebnisse werden Akteuren und Zuschauern mit großer zeitlicher Verzögerung nachgereicht. Auch die Ansagen der Organisatoren sind betont salopp. "Schnell anmelden, wer noch über dreckige Hügel springen will", heißt es wenige Minuten vor dem Start der Disziplin "Dirtjump".
Kurz darauf schießen die 20 Zoll großen "Kinderfahrräder" samt ihren Besitzern über extrem steil angelegte Erdhügel meterhoch in die Luft. Nun müssen die eingeübten Tricks gezeigt werden: freihändig fliegen, eine 360-Grad-Drehung des Lenkers, gar einen Salto. Das Repertoire der BMX-Akrobaten ist groß.
Besonders groß ist es bei den Flatland-Fahrern, zu denen das Publikum später übersiedelt. Auf ebener Fläche wird hier das Rad eher als Turn- denn als Fluggerät benutzt. Der dreifache deutsche Meister in dieser Disziplin, Frank Lukas aus Koblenz, sagt, dass es in seiner Spezialdisziplin etwa 200 bis 300 "Basic Tricks" gebe. Diese würden dann immer wieder auf sehr individuelle Weise miteinander kombiniert. Wer da besser oder schlechter sei, könne man gar nicht so leicht beurteilen, so Lukas, der zu den drei bis vier BMX-Fahrern in Deutschland zählt, die von ihrer Fahrkunst leben können. Dem Publikum in Köpenick scheint das aber gleichgültig zu sein: Es herrscht Musikfestivalstimmung. Besonders variantenreiche Vorführungen werden wie ein gelungenes Gittarensolo mit großem Gejohle gefeiert.
Obwohl die Hauptdarsteller körperliche Höchstleistungen vollbringen, hat das Ambiente in Köpenick wenig mit sonstigen Sportveranstaltungen gemeinsam. Die Radakrobaten sind nicht anders bekleidet als ihre Bewunderer. Die meisten tragen Jeans mit weitem Hosenbund und T-Shirt. "BMX-Fahren ist nicht nur Sport, sondern auch Körperkultur, Show und Style", erklärt Chris Böhm aus Lörrach. Überhaupt, so Böhm, sei es das Krasseste, was er kenne. Die Jungs würden ihr Leben für nix riskieren. Einer habe sich einmal nach einem misslungenen Salto das Genick gebrochen. Für Böhm, der in der Szene auch "Chefbouncer" (Chefprahler) genannt wird, erklärt dies auch, warum BMX ein typischer Männersport ist. Am Wochenende waren im knapp 200-köpfigen Teilnehmerfeld gerade mal acht Frauen dabei.
Der "Dirtjump"-Fahrer Dominique Leibin, der aus Essen angereist ist, resümierte hinterher begeistert: "Eine geile Party. Das Mellow-Gelände ist definitiv der beste BMX-Park in Deutschland." Dass hier bis zum Ende des Jahres alles abgebaut wird, weil der Vermieter, die TLG Immobilien, den Betreibern gekündigt hat, findet Leibin "einfach nur zum Heulen".
Denn der Mellowpark ist in den letzten Jahren in der BMX-Szene zu einer überregional bedeutsamen Kultstätte geworden. Mit vier bis fünf "Contests" würden nirgends sonst so viele Wettbewerbe ausgerichtet werden wie hier, sagt Leibin. Die enge Verbundenheit der BMX-Gemeinde mit dem Mellowpark war auch der Grund, warum die Köpenicker - als Abschiedsgeschenk sozusagen - noch einmal die Deutschen Meisterschaften ausgerichtet haben.
Anders als bei der Premiere im Jahre 2003 fiel das Besucherinteresse zur Enttäuschung der Veranstalter allerdings deutlich geringer aus. Mit knapp 2.000 Zuschauern kamen nur halb so viele wie damals. Insider führen das darauf zurück, dass die Werbung zu kurzfristig startete. Denn die BMX-Gemeinde ist seit 2003 deutschlandweit eher größer geworden. Die Fahrer aus der ersten BMX-Generation der 80er-Jahre erinnerten sich am Wochenende, dass sie sich damals noch ihre Tricks von irgendwelchen Videos abschauen mussten. Heute kommt man einfach zum Mellowpark und schaut den Könnern beim Trainieren zu. Vorerst ist dies nur noch bis zum Jahresende möglich.
Der dreifache deutsche Meister Lukas glaubt, dass die kreativen Leute vom Mellowpark auf einem in Aussicht gestellten Ausweichgelände "eine mindestens ebenbürtige Anlage" aufbauen werden. Pressesprecher Karl-Heinz Kloppisch freut sich über dieses Vertrauen, gibt aber auch zu bedenken: "Um auf den Stand von heute zu kommen, benötigen wir auf dem neuen Gelände mindestens vier Jahre."
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