: BMW in drei Sekunden offen
■ Die legalen Panzerknacker: Ein Schlüsseldienst im Lichte seiner Schattenseiten
BMW in drei Sekunden offen
Die legalen Panzerknacker: Ein Schlüsseldienst im Lichte seiner Schattenseiten
Es ist eine wahrhaft verschlossene Branche, die unseren Wohnungsschlüssel im Handumdrehn kopiert und uns in Nullkommanix aus dem Klo befreit, wenn das Schloß klemmt. Die Schlüsseldienste umgibt ein eigenartiger Ruf: Retter in der Not sind sie, aber mit ihren Fertigkeiten sind sie auch verdächtig nah an der Branche der Panzerknacker. Und zum Image: regelmäßig hört man Klagen, daß ein nächtlicher Einsatz den erschütterten Kunden ein kleines Vermögen kostete — wer läßt sich schon in der Not einen Kostenvoranschlag machen!?
Ronald Pfeuffer (Jg.46) betreibt seinen Schlüsseldienst jetzt im zwölften Jahr An der Weide in Bahnhofsnähe, und er hat nichts zu verbergen, aber viel zu erzählen. Der gelernte Schiffbauer, der damals rechtzeitig von der sinkenden AG-Weser absprang, hat offensichtlich Spaß an seiner Arbeit. Besonders an den Schattenseiten.
Doch am Anfang steht der Schlüssel. Wir legen unseren 17 Jahre alten Renault-Zündschlüssel auf den Tresen. „710er“, kontert Pfeuffer und greift hinter sich. Da ist er, der passende Rohling. 36.000 Stück hat Pfeuffer am Lager. Vom einfachen Bundbartschlüssel für Zimmertüren bis zu den seitlich gebohrten Systemschlüsseln für Wohnanlagen, die nur gegen Berechtigungsschein zu kriegen sind — Pfeuffer hat's. Ein kleines Maschinchen ist das Herzstück der Werkstatt — der „Kopierer“ tastet den „Altschlüssel“ ab und fräst dabei den Rohling. Dauert keine 10 Sekunden.
„Dauert keine 30 Sekunden!“ Ronald Pfeuffer ist jetzt bei seinem zweiten Standbein: Wohnungen öffnen. 30 Sekunden braucht er für den „normalen Zylinder ohne Sicherheitsbeschlag“; ein „Abbrechwerkzeug“ aus den USA kommt zum Einsatz, der plumpe Einbrecher benutzt eine Zange. Im Koffer hat Pfeuffer weiterhin Fräser und Dietriche. Hin und wieder wird er zum Bahnhof gerufen, weil einer seinen Schlüssel eingeschlossen oder verloren hat. „BMW mit Zentralverriegelung: drei Sekunden!“ verkündet er nicht ohne Stolz.
„Aber man erlebt auch die Schattenseiten der Gesellschaft.“ Oh ja. Ein Dutzend mal hat Pfeuffer eine Wohnung geöffnet, in der sich jemand erhängt hatte. Einmal — „Das sieht fürchterlich aus, wenn einer aufschwimmt“ — hat er einen Menschen gefunden, der vor Tagen in der Badewanne gestorben war. Das Bild wird er nie mehr los. Und Müll. Glaubt man Pfeuffer, leben in Bremen vor allem Jugendliche unter unbeschreiblichen Bedingungen. Oft spielt Rauschgift eine Rolle. Hauswirte lassen solche Wohnungen mit „eineinhalb Meter hohem Müll“ öffnen, wenn die Miete nicht kommt.
Regelmäßig zieht Pfeuffer mit der Polizei durch Bremen, dann kann es auch mal gefährlich werden wie neulich in Huchting, als ein Einbrecher seine Tür nicht aufmachen wollte. Da knackt er das Schloß und tritt schnell zur Seite — und der Festzunehmende lauert schon hinter der Tür.
Was zu lachen gibt's dann eher mal, wenn der Auftrag lautet: Knacken Sie diesen Tresor! Es kommt immer noch vor, daß Leute in ihren Häusern beim Renovieren Tresore finden, die z.B. im Krieg versteckt wurden. Da rückt Pfeuffer krimimäßig mit Schweißbrenner an. Vor einem halben Jahr hatte er einen, der fühlte sich schon als Millionär — und dann war nix drin. Garnix!
Andererseits steht man viel rum im Schlüsseldienst und wartet auf das Unglück der anderen. Pfeuffer hat sich eine Absatz-Reparatur zugelegt, da hat man immer was zu tun. Und um die Ladenmiete auch wirklich wieder einzuspielen, verkauft Frau Pfeuffer in einer Ecke des Ladens Pullover. Eingebrochen hat hier noch keiner. Die Tür ist aber auch mit einem Zusatzschloß versehen, das einen grauenhaften Alarmton abgeben kann. Und das Schloß ist im Mauerwerk verankert mit Schrauben, da könnte man ein Klavier dran aufhängen. Bus
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