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BLATTREFORM Spielen, improvisieren, Regeln brechen: Wie es kam, dass Prinzipien aus der wilden Gründerzeit der taz für die neue Zeitung zum Vorbild geworden sindDie Zunge zeigen

Die Gewichtung Wir folgen dem Leitgedanken „Mehr Tiefe statt Breite“. Kurz­meldungen drucken wir weniger häufig, dafür mehr eigene Berichte, Analysen und Reportagen

von Jörn Kabisch

Who wants yersterday’s papers?“ sangen die Rolling Stones vor 50 Jahren, und lieferten 1967 gleich selbst die Anwort: „Nobody in the world!“ Dass sie mit Zeitungen, die gestrig wirken, nichts anzufangen weiß, ist ein Ewigkeitswert der taz. „Wir warten nicht auf bessere Zeitungen“, lautete gut zehn Jahre nach den Stones der Slogan zur Gründung einer neuen, radikalen, linken, undogmatischen Tageszeitung.

Was kurze Zeit später an die Kioske kam, war oft herrlich improvisiert und manchmal absolut unlesbar, voll mit originellen Sprüchen genauso wie mit Stilblüten und ätzenden Säzzer-Kommentaren, aber immer lebendig, weil es um eins ging: dem überkommenen Journalismus die Zunge zu zeigen.

Warum lohnt sich dieser Rückblick in die Historie? Nach fast 40 Jahren, in denen die Zeitung gereift ist, die taz sich professionalisiert hat, ein stilprägender Teil der öffentlichen Meinung in Deutschland geworden ist, so wie es sich die taz-Gründer ins Programm schrieben? Ganz einfach. Weil die Stones noch immer Recht haben! Gerade in der digitalen Ära. Tageszeitungen sind heute nicht mehr das, was sie einst waren, nämlich die unangefochtenen Agendasetter der Medienlandschaft. Es gibt dafür einen einfachen Grund: die Auflage. Es finden sich zunehmend weniger Leser, Zeitungspublikum altert, und es gibt Alternativen, vor allem im Netz.

Wenn Sie ab dem 2. Oktober die taz in einem neuen Layout sehen, dann ist dies nicht einfach nur ein neues Kleid für die Zeitung. Es ist Teil einer beginnenden Transformation, in der die Zeitung tageszeitung bleiben will, aber nicht mehr nur Tageszeitung bleiben kann. Die Etablierung als Tageszeitung, also eine mit großem T, war das Ziel der Layoutreform von 2009: ein Blatt aus einem Guss, zuverlässig und aufgeräumt, das dem Bild entgegenkommt, das der gedachte Zeitungsleser von einer normalen Tageszeitung hatte. Eine taz, die erwachsen geworden ist, die breite Leserschichten ansprechen will.

Das Layout von 2009 war schon nach wenigen Monaten in Teilen ein wenig überholt, denn es war noch für den Schwarz-Weiß-Druck entwickelt worden, die taz aber druckte bald durchgehend in Farbe. Die letzten Jahre haben außerdem gezeigt, dass die Ordnung dieses Layouts die Experimentierfreude hemmte. Weil Gestaltungsfreiheit zur taz gehört, behaupteten manche sogar bissig, dass neue Layout habe eine neue Redakteursrolle geboren: den sogenannten „Formatnazi“.

It’s yesterday’s paper. Im Einzelnen soll hier nicht aufgezählt werden, was sich ändert. Vielen mag es als ein Schritt zurück vorkommen – mit dem wir aber mindestens zwei nach vorne machen wollen. Zu Beginn der Arbeit an der Gestaltung haben wir mit den freien Art-Direktoren Janine Sack und Christian Küpker viel in uralten taz-Ausgaben geblättert. Die Wucht mancher dieser alten Seiten, gepaart aus Spielwitz, Regelbruch und Improvisationswut hat uns oft mitgerissen. Immer wieder andere Titel-Schriftarten, Fotos, die manchmal Seiten und Text zerteilten. Unendlich vielfältig und doch immer taz. Die manchmal auch unbeholfene „Do-it-yourself“-Anmutung kam uns frischer und unverbrauchter vor als so manche Seiten jüngeren Datums. „Wow, ist das gut gealtert“, sagte ein Teilnehmer der Entwicklungsgruppe, vor allem nachdem Janine und Christian sich von dem Chaos hatten inspirieren lassen. Sie entschlackten und befreiten das bisherige Layout, räumten mit Kästen auf, strichen Etiketten, Signets und petrolgrüne Farbbänder, die wie Leuchtreklamen über den Seiten prangten. Insgesamt soll das neue Layout wieder mehr zum Regelbruch einladen. Formatnazis raus.

Ganz programmatisch steht dafür die Seite 1: Wir drucken dort bis zum linken Rand, moderne Technik in unseren Druckereien macht es möglich. Die Titelseite bekommt mehr Gestaltungsspielraum, um das zu erzeugen, was wir den taz-Moment nennen. Oh Gott ja: die Eins, die einem in Erinnerung bleibt, nicht nur, wenn ein Bayer Papst wird. Und weil wir in einer Zeit leben, in der wir ständig mit Bildern behagelt werden, haben wir die Möglichkeiten geschaffen, auf der Titelseite, aber auch im Innenteil auf Bilder und ­Illustrationen gegebenenfalls zu verzichten und stattdessen eine andere Stärke gleich mehrzeilig auszuspielen: die Überschriften.

Vom bisherigen Layout verabschieden wir uns nicht ganz. So wird beispielsweise die Laufschrift in der neuen taz immer noch die Antiqua sein, in der sie diesen Text lesen, die einst der Schriften-Designer Lucas de Groot für die taz geschnitten hat.

Nicht nur hier bleibt die taz wiedererkennbar. Die tägliche Zeitung ist das Mutterschiff der taz. Aber dieses Schiff fährt schon länger im Konvoi – unter anderem mit taz.de, taz.am wochenende, taz.gazete, taz.meinland und seit Kurzem dem neuen Magazin futur.zwei. Ein leichteres, wendigeres Boot passt da besser.

Wir wollen mit der Gewichtsverlagerung auch redaktionell mehr Ressourcen und Kapazitäten für die anderen Kanäle der taz schaffen. Bei der Überarbeitung des Innenteils sind wir dem Leitgedanken „Mehr Tiefe statt Breite“ gefolgt. Kurzmeldungen werden Sie künftig weniger finden, dafür haben wir mehr Platz für eigene Berichte, Interviews und Reportagen geschaffen. Die Tageszeitung von morgen, da sind wir sicher, muss noch mehr Leseartikel sein als Aktualitätsmedium. Das Magazinkonzept, das seit Jahren die ersten vier bis fünf Seiten prägt, haben wir deshalb ausgedehnt. Und wir werden künftig ein Thema auf zwei Seiten in einer Nahaufnahme präsentieren, hervorragend recherchiert und erzählt, bestens fotografiert und illustriert.

Was ist die Zeitung, was ist die taz von morgen? Wir hoffen, das neue Layout schafft uns Raum und Freiheiten, die Antworten, die wir schon heute haben, auszuprobieren und auch ganz neue zu finden. Wenn Sie dazu eine Idee haben, wenn Sie das Layout zu neuen Gedanken inspiriert, schreiben Sie uns an neu@taz.de. Damit die Stones auch in fünfzig Jahren noch Recht haben.

Jörn Kabisch, 46, ist Redakteur der taz.am wochenende. Er begann 2001 im taz-Berlinteil. Zwischendurch war er einige Jahre Vize-Chefredakteur des Freitags und hat dort beim Relaunch mitgewirkt

Die neue taz startet am Montag, 2. Oktober. Die erste neu gestaltete taz.am wochenende erscheint am 7. Oktober

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