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BITTE ALLE EINZUHAKEN

■ Edelweiß'89 - Der große Preis der Volksmusik in der Deutschlandhalle

Die Bühne ist in hellblaues Weichspüllicht getaucht, von roten Puffleuchtern umschmeichelt. Im Zuschauerraum scharren alle erwartungsvoll mit den Füßen. Angesagt ist das Edelweiß '89, der große Preis der Volksmusik, mit allen Stars dieser Branche. Entsprechend strömen die Massen, BVG-Ersatzbusse jachtern vollbesetzt zur Deutschlandhalle, die Parkplätze sind ausgebucht, vor dem Eingang sammeln „Republikaner“ Unterschriften gegen den rot-grünen Senat. Auch wir sind in banger Erwartung angereist, diesem Großereignis im kargen Berliner Kulturwinter beizuwohnen. Würde man uns überhaupt herreinlassen? Und werden wir den Abend unbeschadet überstehen können? Unsere Erfahrungen mit der Droge Volksmusik sind spärlich, doch die Dunkelziffer der täglichen Konsumenten im Bundesgebiet wird auf 15 Millionen geschätzt. Werden wir auf ein sanftes High abheben? Einen dreistündigen Adrenalinschock erleben? Einen üblen Horrortrip durchmachen?

Als Gerd Hoffmann und seine Ochsenfurter Blasmusik anheben, wird begeistert mitgeklatscht. Schmissige Melodien zur Einstimmung, die über eine gräßliche Anlage unsere Gehörgänge erreichen. Die ausgefuchsten Konsumenten auf den Stuhlreihen um uns fahren offenbar schon gut auf den Stoff ab. Bei uns hingegen verkrampfen sich nur einige Muskelpartien. Dann endlich Marianne und Michael, das Traumpaar der deutschen Volksmusik, sie im blauen Dirndl mit blinkenden Pailletten, er im schlichten Jägerkostüm. „Servus“, brüllen sie unisono in die Mikrofone, „laßt uns heut‘ abend mal richtig entspannen, den Alltagsstreß vergessen, so richtig schön genießen“. Frenetischer Applaus. „Jeden Tag der gleiche Trott, jeden Tag der gleiche Streß ich weiß was Besseres“, nölt das bayrische Dumpfehepaar los, die Pauken wummern dazu, und Geigen sägen hinein. Es ist starker Tobak, aber doch erst der Anfang.

Dann eine Instrumentaleinlage mit rassigen russischen Volksweisen, eine Art Soundtrack zu den Konsalik-Romanen. Erinnerungen an Iwan Rebroff und Stalingrad werden wach zur Wonne aller, aufseufzende Trompeten und klagende Klarinetten schmelzen durch die Halle. Schon ungehemmtes Fußtrampeln meiner Nachbarn beim Beschleunigen der Polka und beim schließlich aufgellenden Bläserfinale. Auch beginnen sich nun die Duftnoten der 8x4 Deoroller des schwitzenden Publikums zu entfalten. Ein Duft nach Drüsen, Drospa und Desinfektion. (junge, du hast ja recht. aber meinst du, du stinkst besser, wenn du in deiner szene-kneipe abhottest? sezza)

Maria und Margot Hellwig, in grün und rosa Pastellfarben, jodeln mit glockenhellen Pralinenstimmen: „Heut‘ ist ein schöner Tag, drum laßt uns fröhlich sein!“ Alle im Saal sind fröhlich und beschwingt. Manche schon gut angedröhnt. Riesige Videoleinwände zeigen Nahaufnahmen der Sängerinnen, die beiden gelifteten Gesichter im Lächeln verzerrt, schmierigglänzendes Rouge, zugepuderte Krähenfüße und makellose dritte Zähne (welch augenweide dagegen michael jacksen oder tina turner. sezza). Sie plärren aufgedreht ihre Lieder von HeimatglockenGottvertrauenLiebesglückSonntagfrieden (haste mal die texte unserer 'favoriten‘ vom englischen ins deutsche übersetzt? sezza), und das Publikum schwelgt. Als Takeo Ischi, der jodelnde Japaner, auf die Bühne stürmt, werd‘ auch ich von unkontrollierten Schluchzern geschüttelt. „Sukiyma mit Knödeln und Klaut, und dazu eine baylische Blaut“. Jubel. Jodel. Mir ist schlecht. Ich möchte nach Hause. Aber die härteste Belastungsprobe steht noch aus.

Zunächst kommen Marianne und Michael wieder. „Geht's Eich noch guaht?“, fragt sie „Jaaaaaaaah“, dröhnt es aus dem Saal tausendstimmig zurück. Michael hat heute die faulsten Witze aus seiner Mottenkiste mitgebracht. „Komisch“, wundert er sich, „beim Doktor zieht sich jede Frau freiwillig aus, und bekommt noch Geld dafür.“ „Hahahahahahaha“, brüllt das Publikum. „Mein Freund, der ist noch ledig, der ist noch nicht erledigt“, geht es weiter. Die Menge wälzt sich vor Begeisterung.

„Wir sind ja schon 16 Jahre verheiratet“, schwatzt Marianne los; „Ja, wie lange muß i denn noch“, fragt er unter tosendem Applaus und setzt gleich nach: „Mir geht's ja wie dem FC Bayern - auswärts besser.“

Dann das Struwelpeter-Sextett, ein Haufen gescheiterter Studis mit Müsli-Matten, die vermutlich Samba-Rhythmen darbieten wollen. „Viva la viva lo, Viava la Mexiko“, reimen sie unbeschwert. Nach ihnen hüpft Uschi Bauer herein, ebenfalls von allen guten Geistern verlassen, und trällert, „I bin a Wettafrosch, quak, quak, tut's mir am Hühnerauge weh, gibt's morgen Regen oder Schnee, quak, quak“. Das nächste LIed widmet sie den Männern über neunzig Kilo, von denen etliche im Publikum sitzen. „Meine Herrn, i wünsch‘ mir nur a Mann mit stattlicher Statur.“ Und schließlich erklingt ihr bekannter Song „Ave Maria - zu dir erhebt sich manch bittende Hand“, und für Momente wird es andächtig still im Saal.

Die Kirmesmusikanten aus Holland bringen die Leute wieder zur Raserei. Er ein Yon-Tiriac-Verschnitt im weißglitzernden Sacco, sie ein Joan-Collins-Imitat im blauen Plüschbademantel, und beide haben eine Quetschkommode dabei. Nach ihrer neuesten Kreation „Perestroika“ gehen sie auf eine Tour de Force durch deutsches Volksliedgut. Die Menge steuert nun, untergehakt und kräftig schunkelnd und lauthals mitsingend, auf ihren ersten Höhepunkt zu. „Trink, Brüderlein, trink, laß doch die Sorgen zu Haus, in München steht ein Hofbräuhaus, oans, zwoa, gsuffa, das ist die Berliner Luft Luft Luft“. Mein Nachbar brüllt mir ins Ohr, „Los, komm, mitschunkeln“, und krallt sich an meinen Arm fest. In diesem Augenblick beginne ich meine Mitmenschen ungezielt und aufrichtig zu hassen.

In der Pause verliere ich mich besinnugslos im Anblick der umherschweifenden Rentner mit ihrem Kinderpack. Hinten spielt meine Begleiterin ihr fieses Männerspiel, flüstert den älteren Herren bizarre Angebote ins Ohr, worauf die geschmeichelt grinsen, sich dann sabbernd vorbeugen und dabei am Sack gekrault werden. Vor den Augen ihrer Gattin und Tochter. Kein schöner Anblick. „Manfred!“, gellt eine Frau empört auf. Auch ich verspüre das dringende Bedürfnis, mich an lila Abendkleidern mit den mörderischen Blumenmustern zu vergreifen. Die mit „Wuffi“ bestickten Pullis zu verwüsten. Hier und da ein Make-up mit Senf und Ketchup zu korrigieren. Aber ich stehe gelähmt (mein gott, ist das leben schwer, wenn man die moral gepachtet hat. du tust mir richtig leid. sezza).

Danach hängen wir beide apathisch in unseren Stühlen, violetter Bodennebel quillt über die Bühne, die Kameras von Sat 1 schwenken über die entfesselte Zuschauerschar, die das Naabtal-Duo rasend feiert. Der Lederlederhosensamba dringt in uns. „Drum Leit, wenn's ihr mal Kummer habt, verliert's net gleich den Mut, schickt eure Sorg'n zum Himmel 'nauf, dann wird alles gut.“ Ich bete, ich flehe. Dann kommt Heino.

Und irgendwie löst sich meine Verkrampfung. Meine Widerstände schwinden. Ich mag den Mann gut leiden, er singt so schön mit dunkler Stimme, seine Zombie-Sonnenbrille blitzt herüber. Er singt von Unserer schönen deutschen Heimat, da tappen meine Füße schon im Takt. Ich will nun nicht mehr böse sein, ich möchte mitsingen mit euch allen, ich möchte schunkeln und geschunkelt werden. „Ich darf euch doch Freunde nennen?“ fragt Heino, und wir alle brüllen „Jaaaaahh“. „Bitte alle kräftig einzuhaken“, fordert Heino, „denn nun geht die Reise los“. Und ich ergebe mich meinem Nachbarn, die Musik schwingt durch meinen Körper. „Eine Seefahrt, die ist lustig, auf der Reeperbahn nachts um halb eins, mein blonder Matrose, Caramba Caracho ein Whisky, ja so blaublaublau blüht der Enzian, mit ihren rororoten Lippen fing es an, lustig ist das Zigeunerleben“, das Publikum singt inzwischen selbstständig weiter. Ich bin überwältigt. So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag, der sollte nie vergehn.

Olga O'Groschen

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