BIST DU TOURIST ODER SCHON AUTOCHTHONEN-DARSTELLER? EGAL, UNTERWEGS SIND JA ALLE IRGENDWIE : Neulich in Euro-Disneyworld
MARTIN REICHERT
Wer reist, verliert sich ein wenig; doch auch die Einheimischen wissen mitunter nicht mehr, wer sie gerade sind. Als Bewohner eines Berliner „In“-Bezirks beginnt die Verwirrung bereits, wenn man morgens das Haus verlässt, um Richtung Flughafen zu eilen: Benutzt man für den Transport seines kleinen Gepäcks einen Rollkoffer, ist man sofort feindseligen Blicken von just Zugezogenen ausgeliefert: „Aha, da ist wieder einer von diesen Heuschrecken-Touris.“ Worauf man ihnen schlecht gelaunt „Ich habe hier schon gentrifiziert, als du noch Gameboy gespielt hast“ zurufen möchte. Muss man morgens im fleckigen Bademantel zum nächsten Backshop latschen, um noch als Einheimischer respektiert zu werden? Und wo sind eigentlich die Neuköllner Backshops geblieben?
Nur wenig später – der Rollkoffer ist unauffällig im Bahnhofsschließfach verstaut – wandele ich mit meiner mediterran ausschauenden Begleitung über die Touristenautobahn Venedigs – prompt kommt es zu erneuten Missverständnissen, wird er doch andauernd und zielsicher von deutschen Touristen nach dem richtigen Weg gefragt. Ob es an dem gestreiften T-Shirt von American Apparel lag, das ihn, den Slowenen, quasi unbewusst zu einem Gondolieri mutieren ließ, der doch sicher auch den letzten Canale kennen musste wie seine Westentasche? Die wahren Einheimischen erkennt man allerdings eigentlich an ihrer Hassfresse und nicht an ihren T-Shirts: Wer könnte ihnen verübeln, diese im Weg stehenden, stolpernden Massen nicht mehr sehen zu wollen.
In Triest, der etwas tristen istrischen Hafenstadt, standen wir dann wieder mit sicheren Füßen auf dem Boden, denn der Tourismus macht hier gerade eine Verschnaufpause – niemand bemüht sich her, obwohl die Stadt über den womöglich schönsten Platz mit Meerblick Europas verfügt. Doch nur eine Station weiter, in der slowenischen Kapitale Ljubljana, ist die Verwirrung schon wieder komplett. Auf einem der großen Plätze der Stadt tun Slowenen so, als seien sie Römer. Sie tragen Togen und irdene Krüge umher, um zu Zwecken der Touristenbespaßung die römische Stadt Emona zu simulieren, auf deren Schutt und Asche Ljubljana einst errichtet wurde. Die Stadt insgesamt wiederum tut auf Geheiß ihres langjährigen Bürgermeisters so, als sei sie Salzburg, was die Einheimischen kaum noch aushalten können. Sie fühlen sich als Geiseln des touristischen Marketings, die in einem Schmuckkästchen gefangen gehalten werden.
Wer hier „Authentisches“ sucht, muss auf der Hut sein. So geriet der Besuch einer Cevapcinica zu einem zwar schmackhaften, aber doch seltsamen Erlebnis: Auf die freundliche Frage, warum denn die bestellte Flaschencola nicht im geöffneten Zustand gereicht werde, antwortete die Bedienung: „Dies hier soll eine bosnische Cevapcinica sein, und da man dort Flaschen geschlossen serviert, sollen wir das hier auch so machen.“
Donnerstag Ambros Waibel Blicke Freitag Meike Laaff Nullen und Einsen Montag Josef Winkler Wortklauberei Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin Mittwoch Matthias Lohre Konservativ
Richtig wohl in unserer Haut fühlten wir uns erst wieder, als wir nach unserer Rückkehr vom Flughafen bei McDonald’s am Berliner Hermannplatz hockten. Abendessen. Hier weiß wenigsten jeder, wer er ist.