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BIN ICH, WENN ICH GEGEN OLYMPISCHE SPIELE IN HAMBURG BIN, BLOSS EINE NÖRGLERIN? ICH VERURTEILE BEGEISTERTE ja-SAGENDE DOCH AUCH NICHT!Abstimmungsverhalten

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Den Umschlag hab ich in den Briefkasten vor der Post geworfen. Ein Stück weiter klebte gerade ein Mann ein großes Plakat um einen Baumstamm. Ein weiterer Mann kam dazu, um darüber zu reden, es ging um das Referendum zur Olympiabewerbung. Sie diskutierten, gestikulierten, sie gingen schließlich lächelnd auseinander, ich erfuhr nicht, ob sie sich einig geworden waren oder nicht. Ich persönlich kenne niemand, der für die Austragung Olympischer Spiele in Hamburg ist, deshalb hätte ich vermutet, dass die Hamburger dagegen stimmen. Lese ich aber die Kommentare unter öffentlichen Beiträgen, sieht das anders aus.

Die Brüder Braun, die das Modelleisenbahn-„Miniatur-Wunderland“ gegründet haben, immerhin eine kleine Attraktion in Hamburg, organisierten ein Event im (nicht-miniaturisierten) Hamburger Stadtpark, bei dem menschliche, olympische Ringe gebildet wurden. Es sollte ein Zeichen sein, ein Ja zu Olympia. Es herrschte eine gewisse Freude und es ist eben so, dass eine Bejahung immer auch was Schönes ist.

Ein Nein ist nicht so schön, aber wenn man gegen Olympia ist, muss man ein Neinsager sein, ein „Miesmacher“, oder ein Nörgler, wie es von der anderen Seite her heißt. Man muss dieses „Nein“ ankreuzen, auf dem Zettel. Bin ich ein Neinsager, ein Miesmacher? Die Argumente, mit denen für Olympia geworben wird, sind teilweise ideeller Natur: Es soll eine „einmalige Gelegenheit“ sein, für die Stadt, für die Menschen. Die Welt werde auf Hamburg gucken, was sie sonst eben nicht so tut, weil Hamburg keine Hauptstadt ist und gar nicht mal so groß. Auch die Kinder würden sich später dran erinnern können und stolz sein. Das Argument greift allerdings nur, wenn dieses Ereignis eines ist, das Stolz hinterlässt und nicht hauptsächlich Ärger. Wer weiß das schon?

Tatsächlich gäbe es in der Stadt einiges zu tun. Käme Olympia, würde investiert, es würde gebaut, denn es bräuchte ja Sportstätten, und es würden dann, 2024, sehr viele Leute hier anreisen und hier schlafen wollen. Und weil die Leute dafür auch bezahlen würden, ginge das mit den Unterkünften schon klar. Anders als bei den Flüchtlingen, die kein Geld mitbringen, da ist es ein etwas schwierigeres Problem. Für manche Unternehmer wäre Olympia in Hamburg ein Gewinn. Für manche Bauarbeiter wäre es auch schön, wenn sie ein Stadion bauen dürften, immerhin für garantierten Mindestlohn.

Nicht schön ist, dass sich fast alle einig sind in der Befürchtung, dass die Mieten steigen werden. Die Mieten steigen aber so schon heftig, und wenn sie wegen so einer Sache noch heftiger steigen, dann ist das für mich ein einziger hinreichender Grund, dagegen zu sein. Argumente für und gegen kann man in den Stellungnahmen zum Bürgerschaftsreferendum nachlesen. Der ADFC zum Beispiel meint, das Verkehrsklima würde sich verschlechtern, insbesondere für Radfahrer, aufgrund einer Zunahme des motorisierten Verkehrs. Die CDU dagegen sagt, Olympia brächte bessere Fahrradwege. Die Spiele sollen zudem umweltfreundlich sein, das aber bezweifelt wiederum der BUND.

Ähnlich widersprüchlich wird auch in anderen Bereichen mit den Auswirkungen eines Olympia-Zuschlags argumentiert. Dabei ist vieles nicht abzusehen, nicht zu kalkulieren. Wie die politische Lage sein wird, mit welchem Aufwand die Sicherheit gewährleistet werden muss, das etwa kann man noch nicht wissen. Also muss man sich nun entscheiden, ohne zu wissen, muss Ahnungen folgen, Befürchtungen beachten oder eben auch einem Lustgefühl nachgeben. Ich möchte niemand verurteilen, der in diesem Punkt eine andere Meinung vertritt. Mich ärgert die fehlende Streitkultur und die Unhöflichkeit gegenüber Menschen mit anderer Meinung. Dass die Stadt allerdings überhaupt abstimmen lässt, finde ich vorbildlich.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

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