piwik no script img

BILDUNGMuseen sollen cooler werden

Museum? Langweilig, finden die meisten Kinder. Weil sie die Besucher von morgen sind, versuchen Pädagogen, ihnen die Kulturtempel schmackhaft zu machen

Geht auch im Museum immer: Kinder und Dinosaurier Bild: dpa

Arthurs Zunge berührt beinahe seine Nasenspitze, so konzentriert ist der lockige Fünftklässler. "Hätte ich nur eine andere Frisur", stöhnt er, während er im Bastelraum des Märkischen Museums seine Silhouette aus schwarzer Pappe ausschneidet. "Berliner Köpfe" heißt das Projekt speziell für Kinder, an dem Arthur mit seiner Klasse teilnimmt. Jetzt muss er jede seiner unzähligen Locken einzeln mit der Schere umkurven, um am Ende einen exakten Schattenriss seines Kopfes zu haben. Den klebt er dann auf ein weißes Blatt Papier: Arthur schwarz auf weiß.

Kinder sind mittlerweile die wichtigste Zielgruppe für Museen geworden. "Wenn bei den Ausstellungen in den letzten Jahren etwas passiert ist, dann für Kinder", sagt Andrea Prehn vom Institut für Museumsforschung. Laut einer Untersuchung ihres Instituts kommen immer mehr Kinder und Jugendliche ins Museum - der Berliner Projektfonds für kulturelle Bildung unterstützt im ersten Halbjahr 2010 knapp 40 Projekte mit insgesamt 407.865 Euro.

Arthurs Klassenkameraden sind beim Thema Museum geteilter Meinung. Klar, heute mit den Schattenrissen mache es schon Spaß, sagen die meisten. Zudem gibt es ja schulfrei, und das Ganze dauert nur 90 Minuten. "Richtig cool" würde er ein Museum aber nie nennen, stellt Moritz klar. "Sonst wäre es ja kein Museum mehr."

Hier setzen Veronika Brassel und ihre KollegInnen an. Brassel arbeitet bei der Kulturprojekte GmbH in Berlin, Abteilung "Abenteuer Museum". Die gemeinnützige Landesgesellschaft fördert und vernetzt Kulturprojekte. Bei vielen Museen hilft die Gesellschaft mit ihren eigenen Pädagogen aus. Ziel ist es, mit dem Museum spielerisch Bildungsinhalte zu vermitteln - Museum als Schulersatz. Ausstellungen so zu gestalten, dass sie Kinder ansprechen, ist ihr deshalb wichtig. "Alte Leute brauchen im Museum genügend Sitzgelegenheiten und eine große Schrift bei den Erklärungstexten", sagt sie. "Kinder haben da mindestens genauso spezielle Anforderungen". Die gelte es zu berücksichtigen, damit das Museum wirklich zum Abenteuer wird. "Seit etwa den Neunzigerjahren planen die Museen Kinder verstärkt in ihre Ausstellungen ein", sagt Brassel. "Das ist ein gutes Zeichen, jede Ausstellung sollte Kinder als willkommene Gäste begrüßen." Manche Museumskuratoren hätten das leider noch nicht verstanden, wenn es um die Konzeption einer Ausstellung gehe. "Eigentlich müssen Kinder von Anfang an mit eingeplant werden, gerade bei Dauerausstellungen ist das noch nicht oft genug der Fall."

Das Märkische Museum sei da mit der "Berliner Köpfe"-Führung ein gutes Beispiel, sagt Brassel. Aus der ständigen Ausstellung haben Museumspädagogin Kerstin Bragenitz und ihre Kolleginnen die interessantesten Persönlichkeiten der Stadt ausgewählt. Die Kinder lernen Persönlichkeiten ihrer Stadt von den Humboldt-Brüdern bis zu François Haby, dem Hoffriseur Kaiser Wilhelms II., kennen. "Wenn Sie so wollen: die Promi-Riege Berlins", sagt sie. Die Kinder sollen ihre Stadt verstehen und einen Bezug zu ihr entwickeln, erklärt die 45-Jährige.

Die selbst gemachten Schattenrisse können deshalb die Brücke schlagen zwischen Kindern und historischen Persönlichkeiten. Zwar warnt Bragenitz ihre Gruppe vor der Führung: "Ein Museum ist kein Spielplatz: zanken, kneifen, spucken, kratzen - alles verboten!" Doch dann wird es spielerisch, und die Kinder erleben eine abwechslungsreiche Tour durch die Geschichte Berlins. Bragenitz will zum Mitmachen anregen, und so fragt sie vor jeder neuen Büste oder Statue: "Na, kennt ihr den?" Bei Theodor Fontane ruft einer: "Klar, Einstein mit kurzen Haaren!"

Museen werden nicht von heute auf morgen familiengerecht. "Gerade kleine Häuser stecken schon seit langer Zeit viel Liebe in pädagogische Projekte, hier ist eine Menge passiert", sagt Brassel. Claudia Kanoswki leitet so ein "kleines Haus", das Bröhan-Museum in Charlottenburg. "Bei unserer Sonderausstellung "Tiere im Jugendstil" haben wir ein Suchspiel für Kinder integriert und eine Märchenerzählerin liest Tiergeschichten vor", sagt Kanowski. "Finanziell rentieren sich die Angebote für Kinder aus unserer Sicht gar nicht", erklärt sie. Es mache aber Spaß, den Kindern die Hemmschwelle vorm Museum zu nehmen, "außerdem sind Kinder ja die Besucher von morgen", sagt sie, da sollte ein bisschen Aufwand selbstverständlich sein.

Gerade bei "ekligen Themen" seien Museen mit ihrem Bildungsauftrag in der Pflicht, sagt Renate Förster aus der Öffentlichkeitsarbeit des Technik-Museums. Zwar eigne sich nicht jedes Thema auch für Kinder. "Mathematik ist aber zum Beispiel wunderbar", sagt Förster. Die Ausstellung "mathemachen" vereint insofern gleich zwei "Ekelobjekte" für Kinder: Mathe und Museum - und kommt dabei so gut an, dass die Ausstellung inzwischen bis Ende 2010 verlängert wurde.

Dass das Technik-Museum ein gutes Angebot für Kinder hat, ist für Andrea Prehn vom Institut für Museumsforschung nicht weiter verwunderlich. "Das ergibt sich ja schon aus der Thematik." Bei "klassischen Kunsttempeln" fehle vielen Eltern allerdings noch die Anleitung für den Umgang mit ihren Kindern in der Ausstellung, hier seien die Museen weiter gefordert. Zu oft stehe die wissenschaftliche Qualität im Vordergrund. "Wir wachsen mit unseren Aufgaben, im Hamburger Bahnhof gibt es beispielsweise schon eine tolle pädagogische Betreuung", so Prehn.

Als Arthur und Moritz aus dem Märkischen Museum gehen, freuen sie sich, ihre selbst gemachten Schattenrisse mitnehmen zu können. Ganz anfreunden können sich die beiden mit dem "Abenteuer Museum" aber immer noch nicht. Moritz Fazit: "Museum bleibt Museum, ab nach Hause."

Bröhan-Museum: Märchenwelten, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, für Vorschulkinder bis zur 3. Klasse, Dauer 90 Min

Technik-Museum: mathemachen, Dienstag bis Freitag, 9 bis 13 Uhr nur für angemeldete Gruppen, Dienstag bis Freitag, 13.00 bis 17.30 Uhr und am Wochenende ohne Anmeldung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!