BETTINA GAUSMACHT : Große Gesten mit Anlauf
Am Dienstag muss Obama im Kongress kämpfen und streicheln. Manche Senatoren aus beiden Lagern kuscheln jetzt. Überflüssiger Kitsch
Geplante Gefühlsaufwallungen wirken eher lächerlich als ergreifend. Große Gesten in der Politik, zumal mit Anlauf, sind deshalb eine Gelegenheit zum Fremdschämen. Allerdings ist in Ländern, die einen Gründungsmythos ihr eigen nennen, die Toleranzschwelle gegenüber derartigen Peinlichkeiten im Allgemeinen höher als in Staaten, die mit wechselnden Grenzen und gelegentlichen Kriegen über die Jahrhunderte irgendwie zurechtgeschustert wurden. In den USA kommen große Gesten gut an – auf eine weitere dürfen wir uns nächste Woche freuen, wenn Präsident Barack Obama vor beiden Häusern des Kongresses die traditionelle Ansprache zur Lage der Union hält.
Der republikanische Senator Tom Coburn und sein demokratischer Kollege Chuck Schumer haben angekündigt, bei der Rede nebeneinander zu sitzen. Sie hoffen, dass andere Politiker ihrem Beispiel folgen werden. Indem sie mit der Gewohnheit brechen, nach Parteizugehörigkeit getrennt zu sitzen, möchten sie ein Zeichen setzen und beweisen, dass man auch mit Leuten menschlichen Umgang pflegen kann, die andere politische Überzeugungen haben als man selbst.
Tusch.
Was für ein Kitsch. Geboren wurde die Idee der Senatoren unter dem Eindruck von Schüssen. Ein 22-Jähriger hatte am 8. Januar in Tucson sechs Menschen getötet und 14 verletzt, darunter die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords. Das Motiv der Tat ist unklar. Es gibt Indizien, denen zufolge Hass auf die Regierung des Präsidenten eine Rolle gespielt hat.
Vor diesem Hintergrund soll es also etwas nützen, wenn zwei friedliche Senatoren nebeneinander sitzen, die auch bisher nicht im Verdacht standen, einander an die Gurgel gehen zu wollen? Wie albern. Die Senatoren Coburn und Schumer sind doch keine Warlords, die sich öffentlich versöhnen müssten. Es steht schlecht um eine Demokratie, wenn Repräsentanten verschiedener Parteien es bereits für eine Nachricht halten, dass sie sich wechselseitig nicht meucheln möchten.
Wie wäre es denn stattdessen, wenn sich die politischen Meinungsführer der – noch immer – führenden Weltmacht USA auf einige Grundregeln verständigten, die im Umgang miteinander beachtet werden sollten? Zum Beispiel darauf: Man muss mit dem politischen Gegner nicht befreundet sein. Aber es ist kriminell, ihn umzubringen oder andere Leute zu einem Mord anzustiften. Deshalb gehört es sich auch nicht, jemanden ins Fadenkreuz zu nehmen – und sei es im Internet –, der oder die eine andere Ansicht vertritt als man selbst.
Das wäre doch schon ein Fortschritt.
Wer es wunderbar findet, dass politische Gegner nebeneinander sitzen, fände es vermutlich noch schöner, wenn das blöde „Parteiengezänk“ abgeschafft würde und künftig alle stattdessen nett zueinander wären. Dummerweise funktioniert Demokratie nicht ohne Streit. Vielleicht macht Obama der politischen Konkurrenz ein Friedensangebot: Einschnitte bei den Sozialausgaben als Ölzweig. Dann werden sich Konflikte nicht durch das Placement erledigen lassen. Aber eben auch nicht durch Mord. Wie wäre es mit der Rückkehr zu zivilisierten Gepflogenheiten?
■ Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: A. Losier