BERLINER PLATTEN : Erstaunlich, wie viel untechnoide Musik aus Berlin kommt. Und doch: Asher Lane, Naked Raven und Die Zöllner machen’s manuell
Das Berliner Techno-Brett mag sprichwörtlich geworden sein, die Einstürzenden Neubauten sind inoffizielle Kulturbotschafter der Stadt, Elektro-Tüftler aus der ganzen Welt pilgern nach Berlin. Trotzdem, das soll heute bewiesen werden, kann aus dem süßen Berlin auch wahrlich Erstaunliches kommen: wie zum Beispiel Mainstream-Pop, Folkrock und Die Zöllner.
Asher Lane haben auf ihrem zweiten Album „Neon Love“ alles im Angebot, was ein international konkurrenzfähiges Musikprodukt braucht. Einen Sänger, der dialektfreies Englisch und im Notfall ein beeindruckendes Rockjodeln beherrscht; Gitarristen, denen kein Rocker-Klischee zu ausgelutscht ist, um es noch einmal einzusetzen; und eine Rhythmusgruppe, die noch weiß, wie ein Viervierteltakt zu schnackeln hat. Das Berlin-Hamburger Quintett hat sein Repertoire zweifellos im Griff: Die Balladen sind balladesk, die Midtempo-Nummern stets mittelschnell und die hurtigeren Rocker, ähem, rocken. Die Themen der Texte sind weit gefächert: Es geht um Liebe, Liebe und Liebe. Das Zielpublikum dürfte zufrieden sein: Es goutiert sonst amerikanische Rockbands und sollte hier keinen Unterschied hören.
Naked Raven haben schon so viele Platten herausgebracht, dass es Zeit wurde für ein Best-of-Album. Das heißt „Sunday Best“ und bietet einen hübschen Querschnitt durch das Schaffen der australischen Band, die in Deutschland immer am erfolgreichsten war, deshalb einen großen Teil ihres Daseins hierzulande zubringt und mit Anne-Christin Schwarz mittlerweile auch eine echte Berlinerin am Cello sitzen hat. Jetzt ist also konzentriert nachzuhören, wie diese Band über die Jahre völlig unbehelligt von allen modernen Entwicklungen wie Freak oder Strange oder Weird Folk einen nachgerade klassischen Folkrock konserviert hat. Das ist weitgehend akustisch, immer eingängig, klingt freundlich bis angenehm, aber auch trotz gelegentlicher Ausflüge ins Esoterisch-Ätherische selten überraschend und hat dafür einige wirklich grandiose Melodien vorzuweisen, die von Sängerin Janine Maunder mit glockenheller Stimme vorgetragen werden. Eine beeindruckende archäologische Meisterleistung. Der Job mag staubig sein, aber irgendjemand muss ihn ja machen.
Mangelnde Wandlungsfähigkeit, das konnte man Dirk Zöllner dagegen noch nie absprechen. Dessen Spektrum reichte vom harmlosen Pop von Chicoree über den zahnlosen Funk von Die Zöllner bis zu vertonten Heine-Gedichten. Seine letzte Inkarnation allerdings, die Hauptrolle in der Inszenierung von „Jesus Christ Superstar“ an der Staatsoperette Dresden, scheint ihm jetzt doch zu Kopf gestiegen zu sein: „7 Sünden“, das neue Album der Zöllner, ist der Versuch, sich zu den biblischen Todsünden „zu bekennen“. Also reimt sich „Ich liebe Denise“ auf „ihr Hintern ist so süß“ und auf „Sie ist das Paradies“. Teuflisch, diese Denise, eine echte Versuchung. Das Album kommt zusätzlich in einer Luxus-Edition mit 150-seitigem Making-of-Buch daher. Man darf Dirk Zöllner getrost für seinen Größenwahn schätzen lernen.
THOMAS WINKLER
Naked Raven: „Sundays Best“ (T3/Alive) heute im Kesselhaus