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Archiv-Artikel

BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Die bürgerliche Avantgarde vom Paul-Lincke-Ufer

Die Gastro- und Gesellschaftsdebatte: Geht das „Kirk Royal“ in Berlin-Kreuzberg gar nicht oder ist es ein stimmiges Restaurant – ein Pro und Kontra

KIRK ROYAL GEHT GAR NICHT

Das Restaurant Kirk Royal am Paul-Lincke-Ufer im Berliner Stadtteil Kreuzberg ist ein Ableger der populären Bar Kirk in der Skalitzer Straße. Direkt neben dem Spitzenrestaurant Horváth, was als Chance und Verpflichtung interpretiert werden kann. Das Werbeversprechen lautet: „Zwischen Bürgerlichkeit und Avantgarde“. Oh. Wer fühlte sich da nicht angesprochen als neuer Kreuzberger, der sich kategorisch dem 21. Jahrhundert zurechnet. Wer suchte nicht die Geborgenheit des gesellschaftlichen Dazugehörens verbunden mit einer kleinen kulinarischen Neugier? Also schnell reingehuscht und im Dunkeln glücklich nach einem Tisch getastet.

Die Küche ist französisch und definiert sich stark über Fleisch. Wer das nicht auch tut, tut sich schwer. Das „Steak Frites“ (13 €, mit Salat und Pommes) soll offenbar zum Klassiker aufgebaut werden analog zum Wiener Schnitzel in anderen Häusern – die sichere Wahl für jeden, der nichts auf der Abendkarte findet. Das Gericht hat keinen Charakter und ist offenbar darauf angelegt, nicht aufzufallen und niemand zu verprellen. Dafür ist die Bedienung auffallend affektiert. Einiges Schöne hat man gehört über die Raucher-Lounge im Keller. Es erweist sich als Verließ im Stil der Ponderosa Ranch, also so altbürgerlich, dass es vermutlich schon wieder Avantgarde ist.

Wenn nun jemand den Verdacht hat, dies sei doch nur die Tirade eines gefühlt-restalternativen Kreuzbergers, der Stil als Snobismus missversteht? Glaube ich nicht. Im Zeitalter eines postideologischen Hedonismus sucht jeder einigermaßen Liquide Befriedigung in niveauvoller Küche in einem einigermaßen authentischen Restaurant und kann durchaus mit eingedecktem Tisch und („Fin de Claire Nr. 2“)-Austern etwas anfangen. Das Kirk Royal aber ist schlicht kein echter Genuss – oder subjektiver: Fühlt sich für mich wie ein ärgerlicher Fake an.

Ah, grade stößt am Nebentisch eine (sagen wir mal) Endzwanzigerin neu dazu. Sagt sie: „Hallo.“ Antwortet die bereits sitzende Freundin genussvoll: „Du mich auch.“ Das ist die bürgerliche Avantgarde vom Kirk Royal.

PETER UNFRIED

KIRK ROYAL IST OKAY

Draußen funzeln gelbliche Straßenlaternen, drinnen flackern Kerzen, ein moderner Kronleuchter funkelt, die Musik umschmeichelt das Ohr. Die anderen Gäste sehen aus wie supertolle Freunde aus einer Mobilfunkwerbung. Nach dem Eigenverständnis des Kirk Royals sitzt man hier zwischen Bürgerlichkeit und Avantgarde. Nun ja, muss man denken, das hört sich stark nach Unsinn an, erdacht von Menschen, die sich selbst sehr wichtig nehmen. Zu diesem Unsinn passt dann auch die leicht bornierte Art des Kellners. Ob ein Aperitif gewünscht sei, oder ob er gleich eine Flasche Wasser bringen solle. Danke, man entscheide sich noch. So, dachten wir, die an den kleinen Tischen wie zusammengefaltet saßen, wird das nichts.

Glücklicherweise aber taucht eine andere Bedienung auf. Was ein Kirk-Royal-Drink sei, fragen wir sie. Und sie sagt, es sei doch auch nur ein Kir royal. Der heiße hier eben wie das Lokal. Man kenne das ja, fügt sie hinzu, mehr Schein als Sein.

Was sie dann auftischt, gehört indes definitiv zum Sein. Das kleine, aber gute Entrecote von der Speisekarte wird mit gegrilltem Gemüse serviert. Die Pommes frites lassen eher an Frankreich als an Belgien denken. Die Brust und Keule von der Landente mit Kartoffelknödeln, Rot- und Grünkohl wird auf einem viereckigen, gewellten Teller gebracht, der modern wirken soll, aber aussieht wie eine heutige Interpretation der Oma-Porzellanlinie „Maria, weiß“ von Rosenthal. Furchtbar. Die Ente aber, auf deren fetten Haut dicke Salzkristalle liegen, kann besser nicht sein (17 €). Auch nicht der einfache, leicht säuerliche Grünkohl. So muss ein Essen sein. Und die Bedienung, und das Ambiente, nur nicht das Geschirr.

Der anfängliche Verdacht, das Kirk Royal sei ein schlechter Laden in guter Lage, weicht der Erleichterung, endlich ein solides Lokal in dieser Ecke gefunden zu haben. Hier stimmt die Hülle, hier stimmt die Substanz.

NATALIE TENBERG

KIRK ROYAL, Paul-Lincke-Ufer 45, (0 30) 69 53 52 99, U Kottbusser Tor, 0,75 l Perrier 5,50 €, Entrecote 15,50 €. Was meinen Sie? tazzwei@taz.de