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Archiv-Artikel

BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Sehnsucht nach dem Nachkriegsglück?

Kirstens Reinhardts Gastro- und Gesellschaftskritik: Im Café Buchwald in Mitte findet die Post-Latte-Macchiato-Tscheneräischn neue Heimeligkeit

Als spielten sie japanische Kampfflieger, stürzen sie sich aus der Luft herab auf die Kuchen. Im Café Buchwald haben die Spatzen jeglichen Respekt vor der Spezies Mensch verloren. Im Kamikaze-Stil lässt sich einer fallen, hackt den Schnabel in einen Streusel und versucht flügelschlagend, mit dem Rhabarberstück davonzufliegen. Das klappt natürlich nicht. Der Kuchen ist viel zu schwer, mit dem Quark darin und den großen Obststücken. „Kamikaze“ lässt sich mit „Götterwind“ übersetzen. Und der ist heute, das ist beim ersten Bissen Herrentorte klar, eindeutig durch die Backstube geweht. Der Torten-Teig ist lockerleicht, die Creme schokoladig-süß und zerschmilzt im Mund. Der Kaffee, genau richtig bitter, stellt den nötigen Kontrast her.

Das Buchwald am Holsteiner Ufer in Berlin-Mitte ist die Sorte Café, in dem man als Kind mit kratzigen Kniestrümpfen auf dem Stuhl herumgerutscht ist und sich gefragt hat, warum die Erwachsenen immer so langweilig Kaffee und Kuchen konsumieren müssen und spätestens nach dem dritten Likörchen anfangen, über offene Beine und Krieg zu reden. Heute ist diese Art Heimeligkeit gefragt, die Latte Macchiato liegt in den letzten Zügen im Kampf gegen den Filterkaffee. Und gegen einen Kaffeeplausch im Garten ist wenig einzuwenden.

Eine Hecke aus Hortensien schirmt den Garten von der Bartningallee ab. Wer den Kopf reckt, kann die Ausflugsboote auf der Spree sehen und Bruchstücke der Ansagen hören. Dick hängen Rosenblüten gelb und rot von den Sträuchern herab. Ihr Geruch vermischt sich mit den schweren Parfums der Besucherinnen. Am Nebentisch sitzt ein Kaffeekränzchen, alle um die siebzig. Jede der adrett dauergewellten Damen hat ein Stück Torte auf dem Teller und arbeitet sich langsam durch ihr Stück spätes Nachkriegsglück.

Das Café Buchwald hat Tradition: 1852 in Cottbus von Gustav Buchwald gegründet, kam es 1900 nach Berlin und avancierte zum Baumkuchen-Hoflieferant. Die heutige Besitzerin erzählt gern die Geschichte, wie die Kutschen vom Kaiserhaus den berühmten Buchwald-Baumkuchen für Seine Majestät holten. Frau Kantelberg führt die Konditorei noch immer mit Stil: Hinter der alten Theke häufen die Angestellten in roséfarbener Uniform Tortenstücke auf kleine Tabletts. Leider kippt die Himbeertorte auf dem Teller um. Es heißt, dann gibt es eine böse Schwiegermutter. Na ja. Die darf dann sonntags eben nicht mitkommen.

CAFÉ BUCHWALD, Bartningallee 29, S Bellevue, U Hansaplatz. Geöffnet Mo.–Sa. 9–18 Uhr, So 10–18 Uhr, Torten 2,40–2,90 Euro, Tasse Kaffee 1,70 Euro. Buchwald-Favorit von Hans Christian Ströbele, MdB und stellv. Fraktionsvorsitzender der Grünen: Sahnetorte. Der gute Tipp: Sich danach auf der Waage im Herrenpissoir wiegen!