piwik no script img

BEKIFFT ZU WIRKEN, DAS FÜHRT BEIM GEGENÜBER EHER SELTEN ZU BERUHIGUNG. IST ES ABER EINE ZIEGE, DANN KANN ES EIN GUTES ZEICHEN SEINRuhe im Stall

Foto: privat

VOGELFLUGLINIE

von Rebecca Clare Sanger

Seit sie ein Kitz bekommen hat, im Januar, wirkt Feodora im Wesen wie auch in ihrem äußerem Gestus, in ihren Bewegungen und in der Art, wie sie die Augenlider hält: bekifft. Ob das der Milch geschuldet ist, die sie aus ihrem linken Euter zu trinken vermag, seit dem ersten Tag und mit eleganter Selbstverständlichkeit, weiß ich nicht; der Milch, die uns dann doch nicht schmeckte, aber dafür ihrer verstoßenen Tochter.

Ob es vielleicht an der traumatischen Geburt lag, an der wir nicht teilhaben konnten – zu spät kamen wir unten am Stall an, das erste Kitz war schon tot und auch Kitz Nummer zwei überlebte nur knapp, in der Küche, mit extra gemolkener Muttermilch, am Bauch unseres Hundes. „Sie ist wahrscheinlich eine unsichere Ziege“, sagten unsere Freunde in Süddeutschland, „eine Erstgebärende. Wenn da Unruhe im Stall ist, dann kümmert sie sich nicht ordentlich um die Kleinen.“

Seit wir das Kleine in die Küche gebracht haben – allerhöchste Eisenbahn! –, und sie verwundert zuerst die Milchreste am Körper der Tocher und daraufhin auch an ihrem eigenen Euter entdeckt hat, ist Feodora wie ausgewechselt. Durchaus nicht unsympatisch, verträumter, eleganter, milder und zahmer als die anderen ist sie nun. Und eben auch wie bekifft.

Krank wurde sie nach der Geburt, das schuppige Fell und der konstant auf Halbmast gehaltene Schwanz gaben mir Grund zu Bedenken und schlechtem Gewissen. „Also, wissen Sie, ich kenn mich ja im Grunde nur mit Schafen aus“, sagte die freundliche Tierärztin, „aber die Kotprobe sieht gut aus.“

Und seit Feodora dann wieder mit ihrer Tochter vereint war, auf einer separaten Weide, also ohne die Leitziege, die Zicke, ging es ihr, auf ihre Weise, sehr viel besser. Sie graste vor sich hin, kämpfte halbherzig mit ihrer nervigen Tochter ums Erstgeborenenrecht am Futternapf; sie verlor, träumte weiter, holte sich eine Streicheleinheit ab, nahm einen Zug am linken Euter. Aber gestern habe ich gesehen, warum ich sie unbedingt behalten möchte, selbst wenn mir die Milch nicht schmeckt und das Landleben überhaupt stinkt.

Vor einer Woche nämlich hat der Weidewechsel es nötig gemacht, dass sich alle Ziegen doch wieder die Weide teilen, und die Leitziege ist so zickig wie immer. Nachdenklich untersuchte Feodora den Rücken der unbeschadeten Kleinen, nachdem die von der Leitziege einen Stoß abbekommen hatte. Langsam ging sie, noch immer dünn und struppig, auf ihren etwas nach innen gebeugten Beinen, X-Beinen, auf das große Leittier zu. Feodora senkte ihre Hörner – und gab der Zicke einen Stoß, wacklig und wohlverdient.

Rebecca Clare Sanger pendelt mit Mann und Kindern zwischen Hamburg und der dänischen Insel Møn; was sie dabei erlebt, steht 14-täglich an dieser Stelle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen