BEIM FRISEUR : Die wachsen wieder
Der Friseur rauchte. Er sah nicht glücklich aus. Ständig war er von den beiden Lakaien, den Lehrlingen, flankiert, sie folgten ihm auf Schritt und Tritt. Jedes abgeschnittene Haar wurde sofort aufgefegt, jeder eben benutzte Kamm sofort gesäubert. Dabei war es nicht so, als ob die beiden jungen Migrantenenkel wirklich fleißig wären; vielmehr langweilten sie sich maßlos und hielten sich lieber eifrig an die Vorschriften, als Ärger durch Faulheit zu machen.
Am Schaufenster ging eine ältere Frau mit einem angeleinten Huhn vorbei. Ich saß seit knapp zehn Minuten auf dem Stuhl, einer der Lakaien hatte mir die Brille abgenommen und sich falsch herum neben dem Waschbecken platziert. Die Türklingel meldete neue Kundschaft; einer der hiesigen Straßenalkoholiker kam herein. „Sie wünschen?“, fragte der andere Lakai. „Haare schneiden! Ich hab’s nötig!“ Der Friseur drückte seine Kippe in den vom Lakaien gehaltenen Aschenbecher aus. „Haben Sie Geld?“, fragte er. „Klar habe ich Geld, Alter“, sagte der Mann und zeigte einen 10-Euro-Schein. Entspannung machte sich breit. „Alles klar, Sie sind in fünf Minuten dran. Wollen Sie einen Kaffee?“ „Kaffee? So was trinke ich nicht.“
Der Mann bekam einen Kicheranfall und setzte sich auf die Wartebank. Der Friseur föhnte sich kurz selbst. Ich tagträumte. Die Lakaien stritten sich um ein Kehrblech, die Friseurin stellte die türkische Musik lauter, zwei Hunde schauten zur Tür herein und gingen wieder. Das Lachen des Mannes wurde lauter, dann lallte er irgendwas vor sich hin, der Friseur steckte sich eine neue Zigarette an, zu beneiden war er nicht. Der Salon war ein Tollhaus.
Vielleicht war es dieser Moment, in dem ich die Wiederanschaffung einer Haarschneidemaschine beschloss. Vielleicht war es der Moment beim Rausgehen, als der Alkoholiker beim Anblick meines neuen Haarschnitts mitleidig sagte: „Die wachsen wieder.“ RENÉ HAMANN