BARBARA OERTEL ÜBER DIE MASSIVEN PROTESTE IN DER UKRAINE : Es geht nicht um Timoschenko
Die UkrainerInnen sind zu allem bereit. Das ist die Botschaft der tagelangen Massenproteste in Kiew und anderen Städten gegen das Nein der Regierung zu einem Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU. Pikanterweise spielt wieder einmal Staatspräsident Wiktor Janukowitsch eine Schlüsselrolle. 2004 trieb er mit seinem dreist gefälschten Wahlsieg Hunderttausende auf die Straße und wurde daraufhin durch die Orangene Revolution aus dem Amt gefegt. Diesmal ist es sein Kniefall vor Russland, den Zigtausende nicht bereit sind hinzunehmen.
Dabei geht es den Demonstrierenden nicht in erster Linie um Janukowitschts Spielchen mit Russland oder dem Westen. Auch erschöpfen sich die Proteste nicht in einer Kampfansage an eine korrupte politische Elite, die sich schamlos bereichert und das Recht mit Füßen tritt, sobald es den persönlichen Machterhalt bedroht. Nein, für die meisten UkrainerInnen, die dieser Tage bei Minusgraden auf den Straßen ausharren, geht es um eine grundsätzliche Richtungsentscheidung über die Zukunft ihres Landes. Und die sehen vor allem Vertreter der jungen Generation – allen Krisen zum Trotz – in Europa.
Das sollte sich auch die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko klar machen. Medienwirksam inszeniert, ist sie in einen Hungerstreik getreten. Doch ob Regierungsgegner in dieser Aktion eine Unterstützung ihrer Sache sehen, darf bezweifelt werden. Die Protestierenden wollen sich nicht wieder von Politikern für deren persönliche Interessen vereinnahmen lassen.
Nach der Orangenen Revolution scheiterten Janukowitschs Widersacher an persönlichen Rivalitäten und damit an sich selbst. Die Frage ist, ob sie etwas gelernt haben. Nur dann wird die jüngste Bewegung keine Eintagsfliege bleiben. Die Chancen dafür stehen gut.