BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTE : Im Land der kalten Herzen
In Großbritannien ist der Partnerschaftsmarkt besonders hart – dafür die Arbeitslosenquote niedrig
Es gibt Leute, die fahren in den Urlaub und haben automatisch gute Laune. Endlich mal fremde Menschen, fremde Gebräuche, fremde Umgangsformen bestaunen. Endlich weg von zu Hause.
Ich gehöre nicht zu diesen Menschen.
Oft überfällt mich am dritten Tag die Reisemelancholie. Mühsam versuche ich dann Bekanntes im Unbekannten zu entdecken. Und so landete ich an jenem wolkenverhangenen Nachmittag in London im Hyde Park, mit einigen britischen Zeitungen, die zufällig in irgendeiner Form das Thema Partnerschaft behandelten, sogar in großen Artikeln und ziemlich weit vorne. Von Texten zum Thema Liebe erhofft man sich ja immer Aufhellendes, so, als bekäme man selbst automatisch mehr Liebe ab, wenn man nur viel darüber liest.
Im Evening Standard erzählte eine 29-jährige Journalistin ganz offen von ihrer Partnersuche. Im Alter von 22 Jahren sei sie von London nach New York gezogen, um sich dort so richtig zu amüsieren. Das Partyleben mit den One-Night-Stands, über die man am nächsten Tag mit den Freundinnen ausführlich plauderte, sei wirklich nett gewesen. Auf keinen Fall aber habe sie als Unverheiratete in New York ihren 30. Geburtstag feiern wollen, denn dort kommt auf drei heterosexuelle Single-Frauen nur ein heterosexueller Single-Mann. Also sei sie mit 28 Jahren wieder zurück nach London gezogen, habe im vergangenen Jahr aber leider nur zwei Dates gehabt. Nur bei einem sei es überhaupt zum Kuss gekommen. Und auch in London gebe es für zehntausende von unverheirateten jungen Frauen rein rechnerisch keinen männlichen Partner.
Der Artikel war in der Ich-Form geschrieben, mit Namen und Foto, fast wie eine überdimensionale Partnerschaftsanzeige. Es hätte mir ja wurscht sein können. Doch meine Stimmung sackte ab.
Unter dem Bericht der suchenden 29-Jährigen stand ein Artikel über eine frisch verheiratete 37-Jährige in London. Sie hatte einen 26-jährigen Pakistani geehelicht und ihn erst kurz vor der Hochzeit über ihr wahres Alter aufgeklärt. Danach, erzählte die Autorin, habe sie ihren Freund dabei beobachtet, wie er heimlich in ihrem Reisepass ihr Alter noch mal nachcheckte. Beigefügt zu dem Artikel war das Foto des Liebespaares, das in die Kamera lächelte. Ich blickte auf und sah in den Himmel. Dass London so grau sein kann, auch im Sommer.
Zum Evening Standard gab es eine Beilage, in der sich die „Singles der Woche“ vorstellten, mit Nennung von Einkommen, Wohnungsgröße und Automarke. Eine Frau schrieb entschuldigend, sie fahre leider nur einen alten Ford Fiesta, wolle sich aber bestimmt bald ein neues, größeres Auto zulegen.
Dass der Stress nicht endet, wenn man verheiratet ist – wie ich heimlich gehofft hatte –, entnahm ich dann noch der Times: Dort wurde über das überraschende Ergebnis einer Studie reflektiert, nach der verheiratete Frauen öfter Diät halten als Single-Frauen. Sie habe nach der Geburt der Kinder zugenommen und nun Angst, so sagte eine Interviewte, dass sich ihr Mann mit einer jüngeren und dünneren Frau wieder davonmache.
Ich sank ins Gras. Ein kühler Wind kam auf. Ich kramte meine Fleece-Jacke aus dem Rucksack. Habe ich immer dabei, auch im Sommerurlaub. Vielleicht, dachte ich, hat meine Freundin Britt ja Recht mit ihrer Theorie, dass die heterosexuelle Begegnung mehr und mehr zu einer Art Geschäft wird. Dass die USA und Großbritannien, wo äußerst nüchtern über das „Dating“ geredet wird, uns da nur voraus sind. Dass die heterosexuelle Romantik nur noch virtuell sei, sogar der männliche Hauptdarsteller aus „Sex and the City“ ist ja in Wirklichkeit schwul.
Ich nahm mir ein Magazin vor, um mich von diesen düsteren Gedanken zu befreien. Doch auch da landete mein Blick nur wieder auf dem Ergebnis einer Umfrage: 57 Prozent der britischen Frauen würden nie mit einem arbeitslosen Mann ausgehen. Das nenne ich verdichtete Ökonomie. Die Briten haben mit die niedrigsten Arbeitslosenquoten. Wir Deutschen dagegen nur Hartz IV.
Fragen zur Melancholie? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH