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Archiv-Artikel

BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN Warum ich ein „Interflug“-T-Shirt brauche

Der Name der DDR-Fluggesellschaft hat überlebt – kein Wunder: Interflug, das steht für Freiheit und für Traummänner

Neulich auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin war ein T-Shirt der Renner. Mit dem Aufdruck eines eingekreisten Flugzeuges und dem Schriftzug „Interflug“. Das ist die ehemalige Fluggesellschaft der DDR. Ich hätte wahnsinnig gerne so ein T-Shirt, das es für fünf Euro gab. Bei uns hieß das Nicki, wie der Rennfahrer Lauda. Aber egal.

Mit stolzer Brust würde ich es tragen. Denn als ich das erste Mal in meinem Leben flog, war es mit einer Maschine der Interflug. Und das erste Mal vergisst man bekanntermaßen ja nie. Ich war um die zwanzig und wollte auf dem schnellsten Weg von Dresden nach Budapest, um mich mit meiner bayerischen Jugendliebe zu treffen. Die Interflug steuerte auch exotische Ziele wie London, Amsterdam, Stockholm, Beirut, Paris oder Lagos an. Aber nur für westliche Devisenbringer. Ich musste mich mit dem sozialistischen Luftraum begnügen. Aber gut. Immerhin ging es raus aus der DDR.

Die Nacht vor dem Abflug konnte ich kaum schlafen. Ich war zu aufgeregt. Nicht wegen des Bayerns. Mit ihm war es nicht das erste Mal. Aber mit dem Fliegen. Als ich irgendwann doch einschlief, hatte ich einen Traum. Ich sah im Schlaf, dass ich im Flugzeug einen wahnsinnig interessanten Mann kennen lernen würde. Dass wir uns angeregt unterhalten und der Flug wie im Flug vergehen würde.

Als ich am nächsten Tag in der Abfertigungshalle des Dresdener Flughafens saß, hielt ich unter den Mitreisenden Ausschau nach einem Mann, der auf den Traum passen könnte. Ich guckte mir die Augen aus dem Kopf, sah aber in der großen Menschenmenge nur langweilige Familien mit nörgelnden Kindern. Meine Enttäuschung war groß. Ich versuchte, mich mit der Aussicht auf einen Fensterplatz zu trösten. Doch kurz vor dem Einstieg musste ich aufs Klo, und als ich zurück kam, waren die anderen Passagiere schon drin und alle Fensterplätze besetzt.

Kein Traummann, kein Fensterplatz, stattdessen eine russische Propellermaschine, die mit Ach und Krach vom Boden hochkam – meinen ersten Flug hatte ich mir anders vorgestellt. Ich war den Tränen nahe und setzte mich auf einen der letzten freien Plätze am Gang, ohne nach rechts und links zu blicken. Ich stöpselte die Kopfhörer meines Kassettengerätes ein und packte ein Buch in Spanisch aus. Ich wollte meine Ruhe haben.

Neben mir saß ein Mann, den ich keines Blickes würdigte. Nach wenigen Minuten begann er, sich den Hals zu verrenken, um einen Blick in mein Buch zu werfen. Ich war drauf und dran, die Stewardess zu rufen. Als ich die Kassette wendete und für wenige Sekunden ein Ohr frei hatte, sprach der Typ mich an. In einer Mischung aus Spanisch und Portugiesisch fragte er, was für ein Buch ich lese.

Titel und Autor habe ich vergessen. Aber ich weiß noch genau, dass ich sofort das Buch zuklappte, als ich seine blauen Augen sah, die grauen Schläfen, den gut sitzenden Anzug, die manikürten Fingernägel. Wie in Watte gepackt vernahm ich seinen exotisch klingenden Namen, dass er aus Brasilien sei und auf dem Weg zu einer Konferenz der UNO in Budapest.

Ich war heilfroh, dass ich die Stewardess nicht gerufen hatte. Angeregt ist gar kein Ausdruck für die Unterhaltung, die wir hatten. Viel zu schnell landeten wir in Budapest. Bevor wir uns verabschiedeten, bat mich der Brasilianer um meine Adresse. Ein halbes Jahr später bekam ich meine erste Postkarte aus Südamerika. Der Scherzkeks lud mich nach Rio ein. Leider ging die Karte und mit ihr seine Adresse irgendwann verloren.

Von der Interflug, die 1991 ihren Betrieb einstellte, hat immerhin der Name überlebt. Die Rechte haben türkische Geschäftsmänner aus Hamburg für ein Flugunternehmen erworben. Zur Tourismusbörse übertrieben die Jungs vom Bosporus zwar ein bisschen, indem sie mit dem Slogan warben, „Das Volk fliegt mit uns!“. Aber so ein T-Shirt muss ich haben! Auch auf die Gefahr hin, in den Verdacht zu geraten, die DDR wiederhaben zu wollen. Denn für mich steht der Name Interflug für etwas, was es im Osten eigentlich nicht gab: Freiheit und attraktive Männer.

Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Fragen zu Interflügen? kolumne@taz.de Morgen: Dieter Baumann über LAUFEN