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Archiv-Artikel

BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN Wie ich die DDR im Rausch erlebte

Im Osten machte Cannabis immerhin den Sozialismus reizvoller. Mein erster West-Joint reizte nur meine Eltern

Im Osten gab es jede Menge Vorschriften. Viele machten keinen Sinn, in Frage stellen durfte man sie nicht. Leider gibt es auch im Westen Regelungen, bei denen ich nicht weiß, wer sie sich ausgedacht hat und wozu. Aber, das ist der große Unterschied, jetzt darf jeder zumindest seinen Senf dazu geben. Zum Beispiel das Cannabisverbot. Grass oder Dope als Einstiegsdroge – dass ich nicht lache.

Je verbotener etwas ist, umso interessanter ist es. Das ist im Westen genauso wie im Osten. Nur war es dort viel, viel schwerer an Drogen ranzukommen als im Westen. Weil wir damals noch nicht den Kommunismus erreicht hatten, war der Slogan „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ nur heiße Luft. Deshalb war meine Neugierde besonders groß.

Es war Mitte der 80er-Jahre an einem Abend in dem Leipziger Studentenclub „Moritzbastei“, wo die Befriedigung dieser Neugierde ihren Anfang nahm. Dort lernte ich einen mexikanischen Filmregisseur kennen. Nach einigen Bieren fragte er mich, ob ich ihn auf sein Hotelzimmer begleiten möchte. Ich lehnte dieses unmoralische Angebot selbstverständlich sofort mit einem kategorischen „No“ ab. Bis ich mit meinen damals noch nicht so guten Spanischkenntnissen verstand, dass es ihm nicht um meinen Körper ging, sondern um das gemeinsame Rauchen eines Joints. Da rief ich laut „Sí!“

Der Reiz, verbotenes Haschisch zu rauchen, wurde durch die Überschreitung weiterer Verbote erhöht. Das Betreten eines Hotels, in dem ein Ausländer wohnt, und das Verweilen in dessen Zimmer. Aufgeregt sah ich zu, wie der Mexikaner einen Joint baute. Neugierig zog ich daran. Nach einer halben Stunde hatte ich das Gefühl, einen riesigen Kloß im Hals zu haben. Das Schlucken wurde von Minute zu Minute beschwerlicher, und ich hatte Angst, zu ersticken. Auch das Sprechen fiel mir schwer. Ich gähnte dreimal und sagte dem Mexikaner, ich müsse jetzt gehen. Auf dem Nachhauseweg stoppte mich die Polizei und kontrollierte meine Meldeadresse. Meinen Schluckbeschwerden verschaffte das keine Linderung. Im Gegenteil. Doch die Volkspolizisten interessierten sich zum Glück nicht für meine roten Augen. Sie wunderten sich nur, dass ich zu einer Zeit nach Hause kam, wo die letzte Kneipe schon längst zu war und die ersten Sachsen zur Arbeit gingen.

Nach dieser Pleite wollte ich erst recht mein Recht auf Rausch haben. Wenige Wochen später wurde ich von afghanischen Studenten in ihr Internatszimmer zu einem Fest eingeladen. Offiziell sprachen sie von einem „Folkloreabend“ mit landestypischen Speisen und Musikinstrumenten. Hinter vorgehaltener Hand flüsterten sie was von „schwarzem Afghanen“. Ich verstand Bahnhof, ging aber hin.

Wow, was für ein Joint! Immer wenn ich an diesem Abend die Augen zumachte, sah ich ein Raumschiff in meinem Kopf, das mit einer wahnsinnig beruhigenden Gleichförmigkeit um den Mond kreiste. Auf dem Nachhauseweg in der Straßenbahn schauten mich die Leute irritiert an, weil ich ständig kichern musste. So ließ sich der Sozialismus ertragen.

Der erste Joint im Westen hatte dagegen einen bitteren Beigeschmack. Im Dezember 1989 rauchte ich zusammen mit meiner Schwester und einem Bekannten von ihr aus Saarbrücken einige Tütchen. Es war ein lustiger Abend. Bis es an der Wohnungstür klopfte. Es war ein Kommilitone meiner Schwester, der in sie verliebt war. Weil sie seine Gefühle nicht erwiderte, war er ziemlich sauer, einen Westler bei ihr anzutreffen. Am nächsten Tag rief der Verschmähte meine Eltern an und erzählte ihnen, dass zwei ihrer drei Töchter Drogen nähmen.

Es war ein schwieriges Telefonat, das ich wenige Tage später mit meinen Eltern führen musste. Hoch und heilig versprach ich ihnen, mir nie eine Spritze zu setzen. Ein Versprechen, das leicht zu halten ist. Denn genauso wenig wie nach dem Sozialismus unweigerlich der Kommunismus kommen muss, folgt auf Cannabis Heroin. Ich muss es wissen. Schließlich verbrachte ich meine Kindheit und Jugend in der Phase der entwickelten sozialistischen Gesellschaft.

Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Fragen zu Ost-Räuschen? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE