BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN : Gespräche mit dem Kleiderschrank
Mantel der Geschichte? Quatsch. Der einzige Mantel von historischer Bedeutung ist mein Pelz aus einem Westpaket
Neulich fand ich in meinem Briefkasten eine „Infopost“ von „Fischer-Pelze“ aus Berlin-Wilmersdorf. Vor etwa zwei Jahren hatte ich in dem Fachgeschäft in diesem gediegenen Teil Westberlins einen Lammfellmantel ändern lassen. Ich dachte, mit der Begleichung der Rechnung wäre die Sache erledigt. Ist sie aber nicht.
Seit mir der Mantel wie angegossen passt, hat er mich an der bretonischen Atlantikküste gewärmt, in den Tessiner Bergen und der Leipziger Tieflandbucht. Obendrein hat er mir dazu verholfen, in die Kundendatei von „Fischer-Pelze“ aufgenommen zu werden. „Heute wollen wir einmal mit Ihrem Kleiderschrank reden“, begann der Brief, in dem ich mit „Frau Ballwahn“ angeredet wurde.
Ich rieb mir die Augen, und als ich sicher war, mich nicht verlesen zu haben, trug ich den Brief ins Schlafzimmer. Aber mein Kleiderschrank wollte nicht reden. Also las ich ihm vor: „Es verbirgt sich sicherlich ein Pelz darin, der nun gar nicht mehr den Schrank verlassen darf. Er würde doch so gerne an die frische Luft und tief durchatmen.“
Dabei ist mein Mantel gar nicht im Schrank eingepfercht, sondern hängt an einem Haken im Flur. Quasi an der frischen Luft. Doch während ich weiterlas, war ich mir nicht mehr sicher, ob er dort wirklich gut aufgehoben war. „Gönnen Sie Ihrem Pelz die Fürsorge und Pflege, die er benötigt, damit er Ihnen auch weiterhin viel Freude bereitet.“ Tue ich wirklich alles, um meinem Mantel das zurückzugeben, was er mir gibt?, fragte ich mich. Dabei hat der Mantel mehr als jeder andere die bestmögliche Behandlung verdient. Denn er ist nicht irgendein Kleidungsstück von der Stange. Er stammt aus einem Westpaket und ist von historischer Bedeutung. Mitte der 80er-Jahre bekam ihn mein Vater von einem Arzt aus Westfalen geschenkt. Gebraucht, versteht sich.
Es ist einer von diesen unverwüstlichen Lammfellmänteln. Mein Vater fand ihn wohl ein bisschen zu schwer, und als ich das gute Stück vor zwei Jahren ungenutzt in seinem Schrank hängen sah, nahm ich ihn mit. Weil klar war, dass ich nicht mehr reinwachsen werde, brachte ich ihn zu „Fischer-Pelze“.
Heutzutage gibt es nur noch wenige Läden, die solche Änderungen vornehmen. Die meisten Leute schmeißen ihre Mäntel ja nach zwei Wintern weg und kaufen einen neuen. Bei meiner Suche im Internet war ich auf „Fischer-Pelze“ gestoßen, ein Familienunternehmen in der zweiten Generation. Es nahm mich mit seiner Firmenphilosophie sofort gefangen. „Wir haben Qualität, Kreativität, Zuverlässigkeit und Service zum festen Bestandteil unserer Firmenphilosophie gemacht. Durch Ihre Zufriedenheit können wir auch in der Zukunft Erfolg haben. Niemals empfinden wir einen Kunden als Belästigung oder Unterbrechung unserer Arbeit.“
Dass Kreativität bei „Fischer-Pelze“ keine Floskel ist, merkte ich an dem Brief. Darin wird ein Angebot gemacht, das sich sehen lassen kann: ein „Konservierungsservice“. Nicht für mich, für meinen Mantel. „Nach gründlicher Durchsicht, Klopfen und Entstauben wird er im gut temperierten Konservierungsraum fern von Ungeziefer und erdrückender Enge seine Sommerruhe antreten.“ Ich kam ins Grübeln.
Aber bei der Vorstellung, den dicken Mantel bei frühlingshaften Temperaturen in der U-Bahn zu transportieren, verwarf ich den Gedanken der Konservierung.
Doch ich hatte den Brief noch nicht zu Ende gelesen. „Auf Wunsch holen wir kostenlos Ihr Pelzteil mit unserem Firmentaxi ab“, teilte mir das Unternehmen mit. Wahnsinn. Und zurück muss der Mantel auch nicht laufen. „Rufen Sie, sehr geehrte Frau Ballwahn, einfach an, und das Firmentaxi liefert ihn wieder nach Hause.“
Obwohl mein Mantel noch nie alleine Taxi gefahren ist, rief ich an. Meine Begeisterung verschwand schlagartig, als ich erfuhr, dass eine Konservierung je nach Mantel mindestens 250 Euro kostet.
Nicht der Geiz, sondern die Vernunft siegte schließlich. Der Mantel der Geschichte lässt sich nicht konservieren.
Fragen zum Westpelz? kolumne@taz.de Morgen: Dieter Baumann über LAUFEN