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Archiv-Artikel

BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN Im Reich des sinnlichen Sozialismus

Kubaner erleichtern sich das Leben mit Rum und der Wahrheit – wenn sie von einer DDR-Überlebenden stammt

Nach drei Wochen auf Kuba muss ich sagen, dass der Sozialismus auf Fidel Castros Insel schwer zu verstehen ist. Ich hatte gedacht, dass meine Erinnerungen an die DDR, die ich im Gepäck hatte, ein guter Reiseführer sein könnten. Das Volkseigentum, die Partei, die Durchhalteparolen. Doch nach wenigen Tagen habe ich gemerkt, dass dort, wo Sozialismus draufsteht, nicht unbedingt Sozialismus drin ist.

Wurden früher Kubaner für den Besitz von Dollar ins Gefängnis gesteckt, gibt es heute von Polizisten bewachte Holzhäuschen, in denen sie wie die Touristen Peso in Dollar tauschen können. 26 Peso entspricht einem Dollar.

Ohne die Währung des Feindes ist die sozialistische Mangelwirtschaft nur schwer zu ertragen. In klimatisierten Supermärkten gibt es gegen Dollar so ziemlich alles, was man in staatlichen Geschäften vergeblich sucht. Das ist so, als wenn ich damals in der DDR Waren des täglichen Bedarfs für D-Mark im Intershop gekauft hätte. Völlig absurd.

Viele Kubaner versuchen deshalb, an Dollar zu kommen. Mit der Vermietung an Ausländer zum Beispiel. Wer nichts an den Staat abführen will, macht das heimlich. Früher wurde so ein antirevolutionäres Verhalten mit einer Geldstrafe geahndet, heute droht die Enteignung. Besorgt fragte ich den Mann, bei dem wir heimlich in Varadero wohnten, ob er keine Angst habe, sein Haus zu verlieren, zumal direkt gegenüber eins der „Verteidigungskomitees“ seinen Sitz hat, die allerorten für die Einhaltung der Gesetze sorgen. Er brach in Gelächter aus und erzählte, dass sich die Vorsitzende des Komitees und ihr Mann dem illegalen Fang und Verkauf von Langusten widmet.

Ganz wie zu Hause fühlte ich mich in den staatlichen Gaststätten mit ihren mürrischen Kellnern, die den Gast spüren lassen, dass er ein ganz kleines Würstchen ist. Wie zum Hohn hängen überall Schilder und Gesetzesverordnungen mit einer Arbeitsplatzbeschreibung. „Unsere Pflicht ist es, Ihnen einen Service von optimaler Qualität anzubieten.“ Dazu gibt es Dutzende von Telefonnummern, die der Kunde anrufen kann, wenn der Service zu wünschen übrig lässt. Aber wer will schon den ganzen Tag am Telefon verbringen.

Die Kubaner schaffen es, sich den Alltag mit Dingen erträglich zu machen, die nichts kosten. Mit Wörtern zum Beispiel. Wildfremde Männer nennen wildfremde Frauen „mi amor“, meine Liebe, „mi reina“, meine Königin, oder „hermosa“, Schöne. Sehr beliebt ist bei Paaren die Anrede „mamita“ und „papito“, Mamilein und Papilein. Mein Reisebegleiter und ich haben uns das genauso angewöhnt wie den täglichen Genuss von Rum.

Kuba ist viel sinnlicher als die DDR, was nicht zuletzt mit dem tropischen Klima zu tun hat. Gut gebaute Männer laufen bei 30 Grad mit freiem Oberkörper den Malecón entlang, die kilometerlange Uferpromenade. Die Hosen balancieren sie lasziv auf den Hüftknochen, sodass jeder Schritt wie ein uneingelöstes Versprechen ist. Ihre Blicke signalisieren: Geteiltes Leid ist halbes Leid – die Hitze ist zu zweit leichter zu ertragen.

Nicht zuletzt lag es an meiner Herkunft, dass ich mich wunderbar mit den Kubanern verstanden habe. Viele dachten wegen meines Akzents, ich sei Spanierin. Jedes Mal, wenn sie mich fragten, wo ich ihre Sprache gelernt habe, zog ich meinen Trumpf aus dem Ärmel: „In einem ehemaligen Bruderland von euch, der DDR!“

Die Kubaner, die kaum etwas erfahren über das wiedervereinigte Deutschland und stattdessen von früh bis spät den amerikanischen Präsidenten in SS-Uniform mit Hitlerbärtchen und erhobenem rechtem Arm vorgesetzt bekommen, hingen an meinen Lippen. Sie waren begierig, zu erfahren, wie das Ende des Sozialismus war und vor allem, was danach gekommen ist.

Ich kam mir vor wie die Überlebende einer Katastrophe, die der Nachwelt von ihren Erlebnissen berichtet. Bereitwillig gab ich Auskunft über die guten und schlechten Seiten des Kapitalismus. Ich schenkte den Kubanern reinen Wein ein, der in Wahrheit Rum war. Dieses köstliche Getränk, so viel steht fest, wird Fidel überleben.

Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Fragen zur Staatskunde? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Dribbusch über GERÜCHTE