BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN : So, jetzt wäre ich so weit
Ab einem gewissen Alter gelten Frauen als „Spätgebärende“ – klingt scheußlich, hat aber auch Vorteile
Ich gehöre mit meinen 40 Jahren zu dem Drittel der Frauen in Deutschland, die neulich in einer Umfrage des Forsa-Instituts erklärten, keine Kinder zu haben, weil sie keinen passenden Partner fänden. Dabei müsste ich als Ostfrau mindestens zwei Kinder haben, die vor dem Schulabschluss stehen. Doch wie ich mich allem, was die Mehrheit gemacht hat, verweigert habe, so wollte ich damals auch keine Kinder. Es war klar, dass ich eine Spätgebärende werden würde, auch wenn das Wort schlimm klingt.
So, jetzt wäre ich so weit. Das Problem ist nur, dass viele gleichaltrige Männer in Beziehungen leben, in denen sie nicht glücklich, aber auch nicht so unglücklich sind, dass sie sich trennen würden. Arbeitskollegen mit Kindern, die mir zum Geburtstag Gutscheine für sexy Unterwäsche schenken, scheiden leider ebenso aus. Bleiben also die ungebundenen Männer. Die waren aber manchmal so jung, dass ich mein Kommen per SMS ankündigte: „Aufhören mit Onanieren, Mutti kommt!“
Natürlich gibt es auch ungebundene Männer in meinem Alter. Der Letzte dieser Art lief mir passenderweise bei Humana, einem „First Class Second Hand“-Laden, über den Weg. Dort vertrieb ich mir die Zeit, bis ich meine Post öffnete. Ich musste wichtige Unterlagen an meine Scheidungsanwältin schicken. Während ich nach einem Schnäppchen Ausschau hielt, merkte ich, wie mich ein Mann mit Pferdeschwanz am Kopf und ausgestellten Hosen mit Blümchenrand an den Beinen beobachtete. Ich warf ihm einen spöttischen Blick zu und ignorierte ihn dann.
Als ich mit einem entzückenden Sechzigerjahrekleid zur Kasse ging, stellte sich mir der Pferdeschwanz in den Weg. Linkisch streckte er den rechten Arm aus: „Wer bist ’n du?“ Ich hätte ihn am liebsten mit den Worten „Jetzt lass Mutti mal durch“ beiseite geschoben. Doch meine gute Erziehung hinderte mich daran. Stattdessen fragte ich, „Wie, wer bin ich?“ – „Ich bin der Wolfgang und möchte dich kennen lernen.“ – „Das wollen viele“, sagte ich und zwängte mich an ihm vorbei.
Wie ein Dackel lief er mir hinterher. An der Kasse sagte er: „Du gefällst mir. Ich möchte einen Kaffee mit dir trinken.“ – „So viel Kaffee ist nicht gut in meinem Alter“, sagte ich. Wolfgang guckte so traurig, dass ich Mitleid bekam. „Na gut, du kannst mich bis zur Post begleiten, und auf dem Weg können wir eine rauchen.“ Das Problem war nur, dass die Post gerade mal zehn Meter entfernt war und Wolfgang nicht rauchte. Das soll zwar gut für die Spermienentwicklung sein, aber für Wolfgangs Absicht, mich kennen zu lernen, war es das nicht.
Hätte ich einen Strick dabei gehabt, ich hätte ihn vor der Post angebunden, so anhänglich war er. Dabei will ich keinen Hund, sondern ein Kind! Als ich aus der Post rauskam, schlug ich ihm vor: „Lass uns einen Kaffee trinken. Dann kann ich meinen Freundinnen wenigstens eine lustige Geschichte erzählen.“ Das habe ich wortwörtlich gesagt. Trotzdem willigte er ein.
Es war gegen 15 Uhr, als wir im Café saßen. Ich bestellte einen Martini. „Ich glaube, nüchtern überstehe ich das nicht.“ Wolfgang verzog keine Miene und bestellte eine Cola. „Ich finde dich interessant“, sagte er. „Aha, ist ja interessant. Wieso denn?“ – „Du siehst aus wie eine Frau, die schon einiges erlebt hat. Und wie eine zweifache Mutter.“
Ich verschluckte mich an meinem Martini: „Hast du mich etwa in der Kabine beobachtet?“ Wolfgang blieb mir eine Antwort schuldig und fragte stattdessen, was ich bei Humana gekauft habe. Stolz zeigte ich das Kleid. „Das sieht ja aus wie aus der Nachkriegszeit“, sagte er. Das erste Mal sah ich so etwas wie Emotionen in seinem Gesicht. Es war blankes Entsetzen.
Da war Schluss mit lustig. „Weißt du was?“, sagte ich, „Typen mit Pferdeschwanz finde ich das Allerletzte.“ – „Den kann ich ja abschneiden“, sagte Wolfgang ganz ernst. Mir wurde schlecht. „Und was ist mit dem Blümchenrand an deiner Hose? Willst du den jetzt auch abschneiden?“ Ich winkte die Kellnerin heran. Wir zahlten. Getrennt natürlich. Ich ging nach Hause und dachte, dass das Wort Spätgebärende richtig klasse klingt.
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