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Archiv-Artikel

BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN Mein Glaubensbekenntnis

Ich glaube an nichts, nur an mich selbst. Denn Gott hat mich zu oft im Stich gelassen

Ich glaube an nichts. Weder an Gott noch an andere überirdische Wesen oder Mächte. Emnid hat neulich herausgefunden, dass ich damit nicht alleine bin: Während im Westen nur 22 Prozent glauben, dass es keinen Gott gibt, sagen das stolze 77 Prozent meiner Brüder und Schwestern im Osten. Ich gehöre dazu.

Dabei habe ich mir in den letzten 15 Jahren wirklich Mühe gegeben mit dem Glauben. Ich habe geglaubt, dass Gauloises-Zigaretten „liberté tojour“ garantieren. Ich habe daran geglaubt, dass man seine Hände in „Palmolive“ baden kann. Ich habe sogar geglaubt „Haribo macht Kinder froh“. Aber eine Gelegenheit, an Gott zu glauben, bot sich mir nicht. Anscheinend wird er nicht gut beworben. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mich zu DDR-Zeiten von Gott im Stich gelassen gefühlt habe. Wenn ich ihn brauchte, war er nicht da.

Kurz nach der Schuleinführung schickten meine Eltern meine zwei Schwestern und mich zum Flötenunterricht. Nicht in eine staatliche Musikschule, nein, eine Privatlehrerin kam zu uns nach Hause. Es war eine Pfarrerin. Meine Eltern waren wohl der Meinung, dass eine gläubige Frau uns besser die Flötentöne beibringen kann. Sie irrten sich nicht. Meine Schwestern und ich waren richtig gut und wollten schließlich zu Weihnachten in der Kirche spielen.

Der Druck, der auf uns lastete, war enorm. Wir spürten die stolzen Blicke unserer Eltern und die erwartungsvollen Blicke der Pfarrerin. Monatelang hatte sie mit uns einen Kanon einstudiert, den wir nun vortragen sollten. Ich betete zu Gott, er möge uns beistehen. Aber er schien anderes zu tun zu haben. Erst ließ er uns in der kalten Kirche frieren, bis wir kein Gefühl mehr in den Fingern hatten. Dann ließ er es zu, dass wir von einem Moment auf den anderen vergaßen, wie man richtig atmet. Meine ältere Schwester, die die ersten Töne spielen und uns mitreißen sollte, entlockte ihrem Instrument so klägliche Töne, dass ich meinen Einsatz verpasste. Das brachte meine jüngere Schwester so aus dem Konzept, dass sie fast in Tränen ausbrach.

Einige Jahre später bekamen meine Schwestern und ich neben dem Flöten- auch Klavierunterricht. Wieder von einem Kirchenmann, Kantor Zier. Der schlug uns, wenn wir auf der Tastatur falsch spielten, mit der flachen Hand auf die Finger und rief laut: „Pfui!“. Ich verstand nie, wie Gott das zulassen konnte. Am liebsten hätte ich ihm meine Flöte über den Kopf gezogen. Aber ich war noch zu klein. Deshalb wagte ich es auch nicht, seine Aufforderung auszuschlagen, ihn bei einem Orgelkonzert in einer Friedhofskapelle mit der Flöte zu begleiten. Mit meinen vom Klavierunterricht lädierten Fingern spielte ich tapfer zu seinen Orgelklängen. Gott hatte anscheinend schützend seine Hand auf mich gelegt. Es lief gut. Doch nicht lange. Plötzlich hing ein Register der Orgel fest. Kantor Zier malträtierte das defekte Register und gab mir durch strenge Blicke zu verstehen, dass ich gefälligst weiterspielen sollte. An diesem Tag verlor ich endgültig meinen Glauben und beschloss, mich nur noch auf mich zu verlassen.

Aber ich kenne einen Ostler, der einzige Freund aus der alten Heimat, der einen unerschütterlichen Glauben hat. Obwohl seine Stoßgebete noch nie erhört wurden, spricht er noch heute an jedem Abend das Gebet, das ihm seine Großmutter als Kind vorgesprochen hat. „Vertrau auf Gott. Verlier nie den Mut. Habe Sonne im Herzen und alles wird gut.“ Nach dem Gebet, auch das hat ihm die Großmutter beigebracht, wünscht er sich immer etwas. „Lieber Gott, bitte lass mich nicht am Wochenende den Garten umgraben müssen.“ – „Lieber Gott, bitte lass mich können, bei meinem Moped die Zündkerze zu wechseln.“ – „Lieber Gott, bitte lass es keinen Krieg geben.“

Obwohl er den Garten umgraben musste, obwohl er das Moped nicht in Gang bekam und obwohl es Kriege gab, glaubt er weiterhin. Er sagt, dass ihm das Halt gibt. Statt Gott in Frage zu stellen, geht er mit sich selbst ins Gericht. Getreu der sozialistischen Erziehung, dass die Schuld in der Fehlleistung des Einzelnen zu suchen ist. Hallelujah. Ich und Fehler? Auch daran glaube ich nicht.

Fotohinweis: BARBARA BOLLWAHN ROTKÄPPCHEN Fragen zu Gott? kolumne@taz.de MORGEN: Dieter Baumann über LAUFEN