B-Note: Wie Kinder
Die WM 2006 ist schuld. Schuld am Begriff Sommermärchen, am gescheiterten Komikerpaar Poldi & Schweini, nicht zuletzt an einem völlig falschen klimatischen Eindruck von Deutschland in der Welt – und auch am sogenannten Kabinensong. Gerald Asamoah kam damals zwar nur kurz in der Vorrunde zum Einsatz, aber spielte als Mannschafts-DJ dafür umso öfter „Dieser Weg“ von Xavier Naidoo.
Seitdem kommt kein Nationalteam mehr ohne klingende Motivationsspritze aus. Auch in Kanada wackeln die Wände der Stadionumkleiden, diesmal vorzugsweise im denkbar simplen Vierviertelbummpaff einer Band namens Voxxclub. Die findet zielsicher den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen DJ Ötzi und dem Andreas-Bourani-Song „Auf uns“, der so erfolgreich brasilianische Kabinen erschütterte, dass die Gastgeber im Halbfinale 2014 völlig irritiert aus dem Sambarhythmus kamen. Nun gibt ein Akkordeon volkstümlich den Takt fürs DFB-Team vor, während der Chor bairisch eingefärbt zum Anstoß ruft: „Dieser Tog ist so wie für uns gmocht.“
Der Tag allerdings, an dem der Song aufgenommen wurde, war ein schwarzer für die deutsche Popmusik. Selbst in der Reihe deutscher Kabinenhymnen, die von Naidoo über Bushido und Die Toten Hosen bis zu Helene Fischer reicht, bildet „So wie heut“ einen Tiefpunkt. Das liegt auch an Nadine Angerer. Die Weltfußballerin hat für das Machwerk ein paar Zeilen gerappt. „So jung bleiben wir nicht immer / Heute ist die beste Zeit / Doch im Herzen sind wir Kinder / Tanzen, wenn die Sonne scheint“, reimt sie. Dazu geht es dann böse ab in der Kabine. „Cooles Stück“, wird Melanie Leupolz zitiert, „richtig zum Mitschaukeln.“
Sollte es also nicht klappen mit dem WM-Titel, bleibt der DFB-Auswahl immer noch eins: Schaukeln. Das ist tatsächlich eine Sportart. Zumindest in Estland.
Thomas Winkler
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