Autowahn in Berlin: Jetzt hilft nur noch Repression
Kurz nach dem Horrorunfall mit vier Toten wird schon wieder gerast und gedrängelt. Grund genug, klarere Regeln zu setzen. Ein Wochenkommentar.
Es ist Montag, der Start in die erste Woche nach dem schrecklichen Unfall in der Invalidenstraße. Drei Tage sind nach dem Tod von vier Menschen vergangen, drei Tage, in denen diese schreckliche Nachricht berlinweit des größte Thema war. Müsste das nichts ändern? Müsste das nicht manchen dazu bewegen, den Wagen mal stehen zu lassen, langsamer zu fahren, den Finger von der Hupe weg- und den Radfahrern mehr Platz am Straßenrand zu lassen?
Nichts davon ist an diesem ersten Montag nach der Tragödie zu erleben. Die üblichen Staumeldungen im Radio, die vielen Autos, die mit nur einem Insassen am S-Bahnhof vorbeischleichen, den Zebrastreifen an der Ecke ignorieren, mit über Tempo 50 durch die 30er Zone der engen Nebenstraße rasen. Und das fast schon übliche Nahtoderlebnis als Radfahrer mit einem Abbieger, der auch noch wütend hinter seiner Windschutzscheibe gestikuliert. Es ist so frustrierend, dass einem der wütende Ausruf „Wie viele sollen denn noch sterben?“ erst später einfällt.
Es ist dieser Montag, der einem auch noch die letzte Hoffnung auf Lernfähigkeit zu rauben scheint. Schlimm war es schon, einige Tage zuvor eine Meldung über die jüngste Aral-Umfrage zu Auto-Kaufabsichten zu lesen: 22 Prozent derer, die in den nächsten eineinhalb Jahren ein Auto kaufen wollen, streben einen SUV an – vor vier Jahren waren es nur 5 Prozent. Vier Jahre, in denen es bereits ungezählte Debatten übers Klima und den Sinn und die Gefahren dieser klimakillenden Großfahrzeuge gab.
Es gibt offenbar keine breite Einsicht, dass es so nicht weitergeht – so rasend, egoistisch, andere Verkehrsteilnehmer allein qua Masse einschüchternd bis gefährdend. Und das führt zu einem traurigen Fazit: Es muss her, was eigentlich keiner will, der an den mitdenkenden, verantwortungsvollen Menschen glaubt. Weil der aber zu selten im Auto anzutreffen ist, hilft nur: mehr Kontrollen, Repression und drakonische Strafen statt läppischer einmonatiger Fahrverbote, Verbot von Viel-Schluck- und Viel-Ausstoß-Neuwagen.
Es braucht eine Verkehrsvariante von „Three strikes and you’re out“: Wer dreimal beim Rasen erwischt wird, beim Radweg-Zuparken oder beim sonstigen Gefährden, der kann sich zehn Jahre später mal wieder um einen Führerschein bewerben. Zu harsch, zu drakonisch? Überhaupt nicht. Es gibt ein Recht auf Mobilität – aber nicht aufs Rasen und Gefährden. Stefan Alberti
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren