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taz lab

Autor Steffen Kopetzky auf dem taz lab „Wir sind vom Jäger zur Beute geworden“

Der Autor Steffen Kopetzky fordert mehr Respekt und Anerkennung für das Militär. Auf dem taz lab diskutiert er mit Ole Nymoen über Patchwork-Pazifismus und die Möglichkeit einer europäischen Armee.

Ein Kampfpanzer der Bundeswehr Foto: Philipp Schulze | dpa

taz lab: Herr Kopetzky, Sie sprechen von der Notwendigkeit einer europäischen Armee. Wie könnte diese ­aussehen?

Steffen Kopetzky: Ein mögliches Modell wäre, dass jedes Land eine ­nationale Armee hat und zum Schutz der Grenzen gäbe es einen gemeinsamen militärischen Verband. Woher die Soldaten genau kommen, dafür habe ich noch kein Modell. Aber es wäre klar, dass die Grenztruppen ein gewisses Prestige haben müssten.

Aber irgendwoher müssen die Soldaten ja kommen. Plädieren Sie für eine Wehrpflicht in Deutschland?

Ich plädiere für eine Dienstpflicht für alle, Männer, Frauen und Diverse. Ein bestimmter Teil hat dies als Wehrpflicht zu erledigen, ein anderer im Zivilschutz. Feuerwehren, Krankenhäuser, Technisches Hilfswerk, Naturschutzbehörden. Die Aufgaben für einen stabilen Staat in einer akuten Konfliktsituation sind unendlich.

Bild: Jana Mai

Steffen Kopetzky, Jahrgang 1971, ist Autor von Romanen, Hörspielen und Theaterstücken. Sein Romane „Risiko“, „Propaganda“ und „Monschau“ waren Bestseller. Soeben ist sein neuer Roman „Atom“ erschienen. 2024 wurde er mit dem Literaturpreis der Stahlstiftung Eisenhüttenstadt geehrt.

Wie sieht das Verhältnis zur Bundeswehr in Deutschland aus?

Seit den neoliberalen Reformen der Neunziger- und Nullerjahre wurden die Eisenbahn, die öffentliche Daseinsvorsorge, die Infrastruktur, die Streitkräfte und andere essenzielle Bereiche staatlicher Aufgaben systematisch vernachlässigt. Die Bundeswehr sollte im Ausland fragwürdige interventionistische Einsätze unter Führung der USA durchführen, wie etwa in Afghanistan, schien aber keine Bedeutung für unser Land selbst zu haben.

Erfahren Sol­da­t*in­nen denn zu ­wenig Respekt und Wertschätzung heutzutage?

Die Bundeswehr wurde in den letzten 20-30 Jahren als Sparbüchse aufgestellt. Das zeigt die Geringschätzung auch von Seiten der Politik. Man betrachtete die Bundeswehr als Überbleibsel, als überflüssig. Strategisches Denken wurde aus dem öffentlichen Diskurs verbannt, ein Fehler wie ich finde. Ich vermisse das in der öffentlichen Debatte – ein Gespräch auch mal über unsere Chancen.

Verstehen Sie die Position Ole ­Nymoens, der laut eigener Aussage nie für Deutschland in den Krieg ziehen würde? Der auch beängstigt ist?

Ich verstehe, dass er keine Waffe benutzen will, aber das muss er ja auch nicht. Es gibt viele zivile Bereiche, in denen er sich nützlich machen kann. Ansonsten vertritt er einen Patchwork-Pazifismus, der auf kurzen Stelzen daherkommt.

Aber ist nicht eine starke nationalistische und militaristische Aufladung in der momentanen Situation zu befürchten?

Um an den Roman Erich Maria ­Remarques anzulehnen, auf den ­Nymoen sich auch an einer Stelle beruft: Wir befinden uns nicht im Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Es geht ja gerade um eine gemeinsame europäische Anstrengung. Und zu behaupten, Merz wolle Deutschland zur Faust Europas machen, ist irgendwie sehr ahnungslos.

Inwiefern?

Aufrüstung dauert 15 Jahre. Alles, was wir heute tun können, ist uns zu fragen: Wollen wir als Gesellschaft ­souverän bleiben oder nicht? Oder ­wollen wir von anderen abhängig werden. Sind wir einig, oder werden wir ­unseren ­Jägern zum Opfer fallen?

Nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands bröckelte der Patriotismus. Kaum jemand wäre mehr für eine Verteidigung Deutschlands bereit gewesen. Wie lässt sich das denn wiederbeleben und mobilisieren?

Es ist wichtig, einen realistischen Blick auf unsere heutige Situation zu werfen. Wir sind vom Jäger zur Beute geworden und in einer defensiven Situation angekommen. Wir sind keine Großmacht mehr. Wir könnten derzeit gar nichts und niemanden angreifen. Russland hingegen ist bereit, Krieg zu führen, um seine Interessen durchzusetzen. Die Amerikaner sind vom Beschützer zum Erpresser geworden. Wir brauchen dringend einen Sinneswandel in der Beschreibung unserer Situation. Viel zu oft kommt bei Linken diese Angst vor der Großmacht durch. Und ich denke: Wacht doch mal auf! Wir sind weit davon entfernt! Wir sind keine Bedrohung, sondern die Bedrohten!

In dieser Beuterolle, wie Sie sie nennen: Ist da Gewalt die Lösung?

Eine Kapitulation würde ich mir jedenfalls nicht wünschen. Also haben wir keine andere Wahl: Wir werden Gewalt anwenden, wenn uns jemand an den Kragen will und uns mit allem wehren, was wir haben. Ohne schlechtes Gewissen. Wir sollten uns bis an die Zähne bewaffnen. Das ist unbequem, aber wenn wir dazu nicht bereit sind, werden wir Stück für Stück die Kontrolle über unseren Kontinent verlieren.

Um Debatten wie die um Feminismus, Queerness oder Postkolonialismus führen zu können, braucht es da wirklich einen militärischen Sicherheitsrahmen?

Ich finde diese Diskurse – neben anderen - durchaus berechtigt. Aber dafür, dass auch sie stattfinden können, braucht es einen Rahmen. Wir sehen es in den USA, dort werden diese Dinge von oben erodiert. Wörter werden verboten, Transleute werden aus der Armee geworfen, das Andenken an weibliche oder farbige Soldaten gelöscht. Die ganze Gesellschaft wird weiß und männlich gemacht. Zuckerberg, der Kapitalist hinter Instagram, Facebook und What‘s App, spricht von „maskuliner Energie“, die es jetzt brauche. Diejenigen, die das auch bei uns wollen, sind im Aufwind. Unser Gesellschaftsmodell ist zum globalen Feindbild geworden: die USA, Russland, Saudi-Arabien sind sich da einig. Aber wie kann das eigentlich sein: ein Bündnis dieser drei Staaten ist von deren Verfassung her eigentlich ausgeschlossen. Die Hüter der Heiligen Stätten und dezidierte alkoholtrinkende Schweinefleischkonsumenten – das geht doch gar nicht, oder? Aber das ist der Punkt: Ich glaube, dass es in Wahrheit darum geht, Europas Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu erhalten, das Geschäftsmodell der letzten hundert Jahre. Die Europäische Einigung und die Energiewende sollen rückgewickelt werden. Das globale fossile Kapital möchte, dass alles so bleibt, wie es war. Die reaktionären Rollenbilder und Gesellschaftsmodelle sind nur die Aufhänger.

Braucht es also mehr Bereitschaft dafür, unser Land zu verteidigen?

Manche Staatsformen in der Geschichte sind verschwunden, so kann es unserer pluralistischen Demokratie und dem vereinten Europa auch gehen. Ich weiß, das ist alles schwer zu ertragen oder nur zu begreifen, aber das, was in Amerika passiert ist real, nach Innen ein Staatsstreich, nach Außen ein Handelskrieg zur Durchsetzung eigener Interessen. Was Russland gleichzeitig macht, ist echter Krieg, auch dieser zur Durchsetzung von politischen Forderungen. Krieg ist wieder legitim, man muss halt nur gewinnen. Dann wird Gewaltanwendung scheinbar belohnt – wie man an der Ukraine bitter sehen kann. Das Schicksal der Ukraine könnte auch unseres sein. Dagegen müssen wir uns stemmen. Noch haben wir die Kräfte dazu.

🐾 Steffen Kopetzky & Ole Nymoen diskutieren beim taz-Kongress 2025 die Grundfrage des Krieges. Mit einem tazlab-Ticket können Sie live dabei sein, egal ob von Zuhause aus oder vor Ort.