Autonomes Jugendzentrum: Potse-Streit geht weiter
Der Räumungsprozess wurde am Mittwoch nach kurzer Zeit unterbrochen. Die Anwälte des Kollektivs halten den Richter für befangen.
Das Land Berlin gegen ein Jugendzentrum: Am Mittwoch begann der Räumungsprozess gegen das autonome Jugendkollektiv Potse. Im März vergangenen Jahres hatte der Bezirk Tempelhof-Schöneberg Klage eingereicht, nun war Prozessauftakt. Beide Parteien, der Bezirk vertreten durch das Land Berlin, trafen sich im Hochsicherheitssaal des Kriminalgerichts in Moabit. ZuschauerInnen wurden gefilzt, ihre Personalien kopiert, Kugelschreiber und Handys verboten. Vorm Gericht demonstrierten rund 50 Potse-UnterstützerInnen friedlich, dafür mit lauter Punkmusik und Sprechchören. Am Ende gab es kein schnelles Urteil: Der Prozess wurde unterbrochen, weil die Beklagten vorzeitig den Saal verließen.
Seit gut einem Jahr weigert sich das Kollektiv, aus der Potsdamer Straße auszuziehen, und hält die Räume besetzt – trotz des gekündigten Nutzungsvertrags durch den Bezirk. Der Grund für die Besetzung: Es gibt keinen geeigneten Ersatz, in dem sich die Jugendlichen nicht nur leise treffen können, zum Kochen und Reden, sondern vor allem auch laut zu Konzerten und Bandproben. Der Bezirk bot dem Verein bisher bereits Alternativen an, durch den fehlenden Lärmschutz sind aber alle ungeeignet für Konzerte.
Eigentlich finden im Gerichtssaal 500 in der Turmstraße hinter schusssicheren Glaswänden Strafprozesse gegen Rockerbanden oder kriminelle Großfamilienclans statt – keine Zivilprozesse. „Wir sind ein friedliches Jugendzentrum und müssen hier unter Terrorauflagen verhandeln“, sagt Paul, ein Sprecher der Potse.
Kein Vertrauen in Richter
Die Rechtsanwälte des Kollektivs, Lukas Theune und Benjamin Hersch, reichten deshalb direkt zu Prozessbeginn Beschwerde ein. Sie halten den zuständigen Richter aufgrund seiner erlassenen Sicherheitsverfügungen für befangen. Jugendliche seien vom Prozess ausgeschlossen, obwohl es um einen Jugendclub ginge, kritisiert Theune. Insgesamt reichten die Anwälte zwei Befangenheitsanträge ein. Die Beklagten weigerten sich, unter den Umständen zu verhandeln, und verließen den Saal. So konnte die mündliche Verhandlung gar nicht erst beginnen. Die Klägerseite reichte deshalb wiederum einen Versäumnisantrag ein.
„Es wirkt, als wolle man hier eine schnelle Erledigung der Sache um jeden Preis. Deshalb haben wir kein Vertrauen in das Gericht“, sagte Theune. Das Publikum aus rund 30 Potse- und Drugstore-UnterstützerInnen applaudierte: kein Sieg, aber weiterer Widerstand.
Laut Gerichtssprecherin Lisa Jani ginge es nicht darum, UnterstützerInnen des Potse-Prozesses zu kriminalisieren. Die Wahl des Raumes habe nur „personelle und sachliche Gründe“ gehabt: mehr Wachtmeister, bessere Geräte, routiniertere Abläufe. Die Anwälte des Kollektivs sehen das anders. Für sie ist der Hochsicherheitssaal schon eine Vorverurteilung.
Jani rechnet damit, dass der Prozess in drei bis vier Wochen fortgesetzt wird. Dann könne es zu einem Versäumnisurteil kommen, da sich die Beklagten am Mittwoch nicht zur Sache geäußert haben. Deren Verteidiger kündigten an, in dem Fall Einspruch einlegen zu wollen. Man sei immer noch an einer Einigung mit passenden Ersatzräumen interessiert.
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