Automobilisierung der Olympia-Sprache: Handbremse lösen und Gang einlegen!
Wenn KommentatorInnen über den olympischen Sport in Paris reden, nehmen Metaphern aus dem motorisierten Individualverkehr Überhand.
U nglaublich oder unfassbar. Das sagen sie immer wieder, die Reporter, die Sportlerinnen und die neuen Fluten an beisprechenden ExpertInnen in ARD und ZDF. Unglaublich sei dies oder unfassbar jenes, was auch passiert, immer wieder, überall, als schwebe dauersoufflierend der limitierte Sprachakrobat Bastian Schweinsteiger wie das olympische Feuer über Paris.
Am Montag war es in der Stadt „unglaublich heiß, 29 Grad“. Heiß? Ja. Aber ist das unglaublich? Unfassbar! Nach wissenschaftlich nicht gesicherten Zählungen führt (Stand heute Mittag) „unfassbar“ mit 1.133 Nennungen auf Goldkurs vor „unglaublich“ mit bislang 964.
Doch die wahre Kernkompetenz der KommentatorInnen ist eine andere: Er oder sie muss mehr „Gas geben“, heißt es beständig, auch mal „richtig Gas geben“ oder „endlich Vollgas geben“. Manchmal hört man auch die Analyse, es gelte „jetzt endlich die Handbremse zu lösen“, ersatzweise „von der Bremse zu gehen“, egal ob Fußballerin, Läufer oder Schwimmerin.
Danach muss man „den Vorwärtsgang einlegen“, ersatzweise „einen Gang höher schalten“ oder „einen Gang zulegen“. Gemeint ist immer: schneller sein, schneller werden. Willkommen bei Auto-Olympia.
„Turbo einschalten“
Wir erleben Paris als eine Art Motorsportveranstaltung. Autosprech überall, als hätten die Aktiven, aus welcher Disziplin auch immer, ein Verbrenneraggregat inside. „Jetzt muss er auf die Überholspur kommen.“ Wer schwächelt, möge bitte „Energie nachtanken“. Und dann bitte „den Turbo einschalten.“
Selbst beim Bahnradfahren war zu hören: „Sie wollen immer nur Vollgas geben.“ Aber leider: „Sie kriegen noch nicht alle PS auf die Bahn.“ Ja, die PS, die gibt es auch immer wieder. „Sie müssen mehr PS auf den Platz bringen.“ Alles ist Auto. Bald werden die Wassernebelanlagen noch zur Autowaschanlage erklärt.
All diese Modernismen macht einer wie Carsten Sostmeier nicht mit. Der Pferdemann der ARD kommentierte aus Versailles in einer anderen Liga im Duktus der 50er Jahre und mit mähnigen Sprachspielereien, bei denen das Stechen zum „hippologischen Elfmeterschießen“ wurde.
Würde Sostmeier, dieser Werner Hansch aus der Welt der Wasseroxer, der Ringelnatz der Hufeisen, dieser Piaffenpoet, ein Ross zu Vollgas auffordern? Nie! Oder PS in seinen Pferdekosmos einwechseln, um Himmels willen. Er erzählt lieber vom vorolympischen Hausherrn des Schlosses, Ludwig XIV. Der hatte noch kein Auto. Unfassbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend