Autohaus für Frauen: Keine Bierkästen, aber Pin-up-Kalender
Autos sind längst keine Männerdomäne mehr. In Berlin gibt es seit Kurzem das bundesweit erste Autohaus von Frauen für Frauen. Aber auch Männer sind willkommen.
Ein Autohaus am Rande von Berlin. Cremefarbene Ledersessel im Eingangsbereich. Lippenstiftrote Wände. Parfüm hängt in der Luft. Neben dem Tresen ein altes Werbeplakat aus den Vierzigerjahren. Eine Frau im Blaumann streckt dem Betrachter provozierend ihren Bizeps entgegen. Bildüberschrift: We can do it.
"Hallo, herzlich willkommen im Autohaus Señorita Maria", zwitschert Verkäuferin Anette Kühne einer Kundin entgegen. "Kann ich Ihnen helfen?" Klack, klack, klack. Auf etwa fünf Zentimeter hohen Stiefelabsätzen stöckelt Kühne zu einem der neuesten Seat-Modelle. Mit Schwung öffnet sie die Heckklappe des Fahrzeugs, ihre langen Fingernägel klacken gegen das Metall. "Das Schöne an dem Modell, der Kofferraum bietet extra viel Platz", erklärt sie der Kundin und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: "Für uns Frauen ja immer besonders wichtig."
Señorita Maria heißt das Autohaus, das im Oktober eröffnet wurde. Ein Autohaus von Frauen für Frauen. "Unsere Idee war es, ein Autohaus aufzumachen, in dem sich Frauen wohlfühlen. Dazu gehört auch, dass hier ausschließlich Frauen arbeiten", sagt Geschäftsführerin Maria Erkner und streicht sich ihre langen blonden Haare hinters Ohr. Acht feste Mitarbeiterinnen, davon drei in der Werkstatt, beschäftigt die 23-Jährige. Trotz ihres jungen Alters ist Erkner in der Autobranche das, was man einen "alten Hase" nennen könnte. Ihre Familie macht seit 90 Jahren in Autos, ihr Vater besitzt schon fünf Autohäuser. Dennoch wollte Erkner ursprünglich kein eigenes Autohaus aufmachen. "Eher was Soziales."
Während ihres BWL-Studiums macht sie Praktika in der Verwaltung eines Krankenhauses und in der Altenpflege. Lediglich um sich etwas dazuzuverdienen arbeitet Erkner im Betrieb des Vaters mit. "Da hab ich halt mitbekommen, dass Kundinnen nicht ernst genommen werden", sagt Erkner. Kurzes Zögern, verstohlener Blick. "Und die Mitarbeiterinnen auch nicht." Erkner bespricht ihre Beobachtungen mit "Papa". Das war im April 2009. Gemeinsam erarbeiten sie das Konzept vom Frauenautohaus. Auf der Internetseite von Señorita Maria steht unter dem Punkt Leitgedanke: "Das Seat-Autohaus Señorita Maria (…) hebt sich bewusst von der männlichen Autobranche ab. Bei uns stehen Frauenorientiertheit, Professionalität und Gleichberechtigung im Vordergrund."
Optisch sieht das dann so aus: Eine modern-gemütliche Einrichtung, Spielmöglichkeiten für Kinder. Auf der Damentoilette Haarspray, Handcreme und Tampons. Zu dem Konzept von Señorita Maria gehört aber nicht nur, dass die Kundin sich rundum wohlfühlen soll, auch die Firmenpolitik ist frauen- beziehungsweise familiengerecht: "Wir sind jetzt alle Anfang bis Mitte zwanzig. Na klar wird die eine oder andere auch mal Kinder kriegen", sagt Erkner. Wenn es so weit ist, wolle man eine Tagesmutter einstellen. Aber bis dahin sei noch etwas Zeit. Jetzt müsse man erst mal sehen, dass das Geschäft gut anläuft. Seit der Eröffnung im Oktober hat Erkner elf Autos verkauft. Ohne Abwrackprämie. Mitten in der Krise. Kein schlechter Anfang, findet Erkner.
Die Geschäftsführerin des ersten Frauenautohauses Deutschlands sitzt in ihrem dreizehn Quadratmeter großen Büro ohne Fenster und wippt unruhig mit dem Fuß. Der Chefsessel aus schwarzem Leder wirkt ein wenig zu groß für ihre zierliche Gestalt. "Ich begreife mich nicht so sehr als Geschäftsführerin, sondern eher uns alle als Team", sagt Erkner. Gut würde das Frauenteam bisher funktionieren, auch wenn es ab und zu mal Zickereien untereinander gebe.
Das Team, das sind neben den Kundenberaterinnen vor allem die drei Mechatronikerinnen der hauseigenen Werkstatt. Eine von ihnen ist Janine Schubert. Gemeinsam mit ihrer Kollegin tüftelt Schubert an einem Gebrauchtwagen herum. Scheibenwischerflüssigkeit läuft aus. Das Auto muss aufgebockt werden, um herauszufinden, wo das Leck ist. Routiniert bringt Schubert den Wagen in Position, fährt die Rampe hoch. Schubert trägt Blaumann und Kapuzenshirt, die Haare hat sie locker zum Zopf gebunden. Im Radio dudeln Hits der 80er und 90er. Der Umgangston ist kumpelhaft. Lediglich der Kasten Bier und der Pin-up-Kalender fehlen.
Frauen in einer Autowerkstatt: für viele Kunden immer noch etwas gewöhnungsbedürftig. "Ja, ja, ick weeß, jetzt kommt bestimmt gleich die Frage nach Frauen und Technik, wa?", murrt Schubert, während sie auf der Suche nach dem passenden Schlüssel durch die Werkstatt latscht. "Es gibt auch Männer, die keene Ahnung von Technik haben. Ick hab dafür keene Ahnung von Finanzen", sagt sie, zuckt mit den Schultern und wendet sich wieder dem Auto zu. Schon vor der Eröffnung von Señorita Maria hat Schubert als Mechatronikerin in verschiedenen Autohäusern gearbeitet. Die Arbeit im Frauenautohaus ist für sie nichts Besonderes. "Eigentlich ist das Arbeiten wie immer, nur dass hier halt keene Männer sind", sagt die Berlinerin. Probleme mit Männern in ihrem Job habe sie nie gehabt. "Klar, die nehmen dir mal was ab, weil sie glauben, das ist jetzt zu schwer für dich zum Tragen, aber sonst sind die Jungs schon janz in Ordnung."
Im Gegensatz zu Schubert hat Kundenberaterin Jennifer Dammberg die Autobranche bisher als Männerdomäne erlebt. Während ihre männlichen Kollegen nach und nach befördert wurden, durfte die 22-Jährige nur im Büro arbeiten. Vergebens kämpfte sie um eine Beförderung in den Kundendienst. "Ich bin mir sicher, dass ich 'ne Frau bin war ein Grund dafür, dass ich nicht befördert wurde", sagt sie. Als Dammberg von der Idee des Frauenautohauses hörte, war sie begeistert. "Hier können wir zeigen, dass Frauen genauso kompetent und gut sind wie Männer". Dammberg bewarb sich bei Maria Erkner. Heute arbeitet sie im Kundendienst.
In der gläsernen Verkaufshalle bemüht sich Beraterin Anette Kühne um eine Kundin. Mit weiblich-einfühlenden Worten erklärt sie technisch knifflige Details. Dann sagt sie: "Wir Frauen legen auf ganz andere Sachen Wert als Männer. Auf Farben zum Beispiel und Ausstattung. Wir Frauen verstehen uns einfach." Ein passendes Auto findet die Kundin nicht. Dennoch: "Es ist schon angenehmer, wenn Frauen einem etwas erklären, Männer sind doch oft von oben herab", sagt sie. Kühne nickt zustimmend. Während sie die Kundin zur Tür begleitet, sagt sie: "Mir hat mal eine Kundin erzählt, dass sie die Probefahrt nicht ohne ihren Mann machen durfte." Gemeinschaftliches Kopfschütteln.
Ein grauhaariger Herr betritt das Geschäft. Neugierig schleicht er um die Autos herum. Er trägt einen senffarbenen Anorak. In der Hand hält er eine braune Tasche, wie alte Leute sie oft tragen. Verloren steht er zwischen den blinkenden Neuwagen mit der Aufschrift "Auto Emotion" und der Einrichtung im Berliner Mitte-Schick. "Kann ich Ihnen helfen?", flötet Anette Kühne und eilt auf ihn zu. Er wolle sich mal umschauen, sagt der Mann. Er sei gerade zufällig in der Gegend gewesen und brauche ein neues Auto. Es klingt wie eine Entschuldigung. Kühne berät, zeigt ihm die Modelle. Dann, nach einer Weile, sagt der Kunde: "Na ja, ich hab von dem Frauenautohaus gehört und wollte mal gucken." Neugierige Männer, die sich "so etwas" mal anschauen wollen, kommen im Frauenautohaus öfter vorbei: "Viele Männer kommen nur, um zu testen, ob wir auch wirklich Ahnung haben", erzählt Kühne. So richtige Machos, sagt sie, würden allerdings doch nicht kommen. Kühne grinst süffisant. "Schade eigentlich."
Mittagszeit bei Señorita Maria. Es wird Pizza bestellt. Rund um den Tresen drängen sich die Frauen und durchstöbern die Karte. "Vielleicht nehme ich doch lieber einen Salat, ich hab so zugenommen", sagt die eine. Darauf die andere: "Ach was, wo denn?" - "Doch, hier", greift sie sich an die Hinterseite ihrer Jeans - Größe 28. Dahin, wo das Logo des Autohauses prangt: ein voller Kussmund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“