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Autofrei über die Avus

■ Tausende RadlerInnen eröffneten gestern mit einer Fahrradsternfahrt quer durch die Stadt die Aktionswoche "Mobil ohne Auto". Autofahrer drehten durch

„Papa, jetzt mußt du rasen!“ spornte Niko seinen Vater vom zitronengelben Kinderanhänger aus an. „Hier ist aber nur Tempo hundert erlaubt“, bremste die hinterherfahrende Mutter ihre Jungs, und die fanden das „voll blöd“. Ansonsten waren die Teilnehmer der traditionellen Fahrradsternfahrt auf der Avus aber guter Dinge. Endlich war die Raserstrecke einmal autofrei. Viele tausend Fußpaare in Turnschuhen, Jesuslatschen oder gar silbernen Pumps traten dort in die Pedale.

Mit einer Sternfahrt, deren einzelne Routen durch alle 23 Bezirke führten, begann gestern die bundesweite Aktionswoche „Mobil ohne Auto“ in Berlin. Die Befriedung der „Versuchs- und Rennstrecke“ war schwer erkämpft, denn die Ordnungshüter hatten sich zunächst dagegen gesträubt, die Avus für die RadlerInnen freizugeben. Erst im letzten Moment hatte die Senatsinnenverwaltung grünes Licht für die Demonstration gegeben.

Von den acht Startpunkten war der Bahnhof Potsdam der begehrteste, denn der Weg zum Sammelpunkt Großer Stern führte ab Hüttenweg über die Stadtautobahn. „Das ist ja wunderbar streßfrei!“ meinte Martin, ein trendtreuer Mountainbiker. Er freute sich, daß die Polizei auch die Gegenfahrbahn sperrte, und wies auf die Schrebergärtner, die zwischen Bahngleisen und Fahrspuren eingeklemmt liegen: „Heute haben die endlich mal Ruhe.“ Die zweijährige Jasmin hingegen verlor auf ihrem Fahrradsitz beinahe den Schnuller: Ihre Mutter raste im Geschwindigkeitsrausch auf der Schleichspur dahin und bot sich mit einem Rollerblader ein knallhartes Kopf-an-Kopf-Rennen.

Der wirklich ungestörte Radelgenuß währte nur bis zum Westkreuz. Dort wälzte sich schon wieder die sonntägliche Blechlawine unter der Brücke entlang. Zwischen Kaiserdamm und Großem Stern gelang es der Polizei nur noch mühsam, die Autofahrer davon abzuhalten, von den Seitenstraßen auf die große Verkehrsader zu donnern. Einige beherzte Radfahrer sperrten darum in Eigenregie die Straßen ab. „Ich hab' jetzt Feierabend, du dumme Kuh!“ bellte ein erboster Autofahrer eine junge Frau an. Ein Mittvierziger hielt seine Aggressionen nicht länger zurück und lenkte seinen sportlichen silbrigen Mercedes kurzerhand auf eine ahnungslose Radlerin, die es vom Sattel riß. Die Leichtverletzte konnte vor Ort versorgt werden, dem hitzköpfigen Autofahrer droht eine Klage. Am großen Stern schließlich trafen sich die PedalritterInnen aus allen Himmelsrichtungen, um gemeinsam durch das Brandenburger Tor und nach Treptow zu rollen. Während die Veranstalter mehrere zehntausend TeilnehmerInnen zählten, sprach die Polizei von nur 5.000.

Die Fahrraddemonstration endete auf dem „Umweltmarkt“ im Treptower Park, wo es unter anderem Informationen zum Abfall, zur Solarenergie und zur Luftqualität gab. „Das Fahrrad muß endlich als ein vorrangiges Verkehrsmittel für den Alltag erkannt werden“, forderte Michael Föge, der Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) solle das Velo- Routen-Konzept endlich umsetzen. Das Konzept sieht insgesamt 660 Kilometer Fahrradrouten vor. Stephanie von Oppen

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