Autobranche: "Herr Meyer" spitzelt bei Karmann
Bei dem Autozulieferer sollen wochenlang Mitarbeiter ausgehorcht worden sein. Insolvenzverwaltung spricht lieber von einem "Sicherheitsbeauftragten". Gewerkschaft findet das indiskutabel.
Die MitarbeiterInnen des Autozulieferers Karmann haben es ohnehin schon schwer. Wieder einmal haben 720 von ihnen in der vergangenen Woche ihren Arbeitsplatz verloren. Außerdem wurde die Lehrwerkstatt mit ihren 137 Auszubildenden geschlossen. Und auch die verbliebenen 900 Mitarbeiter müssen weiterhin um ihren Job bangen. Denn trotz der hinter den Kulissen laufenden Verhandlung mit VW ist die Zukunft des Osnabrücker Autozulieferers nach wie vor offen.
Am Donnerstagabend stellte sich nun heraus, dass die Mitarbeiter des Autozulieferers auch noch von einem verdeckt arbeitenden "Sicherheitsbeauftragten" bespitzelt wurden. Mehrere Wochen lang war der Mann als "Herr Meyer" bei Karmann tätig gewesen. Offiziell war er im Betrieb als persönlicher Sicherheitsbeauftragter vorgestellt worden. Das wurde durch Aussagen ehemaliger Mitarbeiter von Karmann bekannt.
Sie berichteten, dass sich der Mann bei den Karmann-Mitarbeitern eingeschmeichelt habe. Er habe Einfluss auf den Insolvenzverwalter und könne dafür sorgen, dass sie ihre Arbeitsplätze behielten, behauptete "Herr Meyer". So wollte er die Mitarbeiter dazu verleiten, kompromittierende Aussagen über ihre Kollegen zu machen. Hatten die sich vielleicht negativ über ihre Arbeitgeber oder die Insolvenzverwaltung geäußert?
Die Zukunft von Karmann ist offen. Zwar wurde bekannt, dass mit VW über eine mögliche Übernahme des insolventen Autobauers verhandelt wird. Dennoch mussten weitere 720 Mitarbeiter gehen.
Beschäftigt sind beim Osnabrücker Unternehmen jetzt noch 900 Menschen. Vor fünf Jahren waren es noch 7.200. Im April stellte Karmann beim Osnabrücker Amtsgericht einen Insolvenzantrag.
Eine Transfergesellschaft wurde zum 1. Juni für die damals entlassenen Mitarbeiter gegründet. Sie besteht aber nur bis zum Jahresende. IG Metall und Betriebsrat prüfen derzeit, ob auch für die letzte Woche entlassenen Mitarbeiter eine Transfergesellschaft gegründet werden kann.
Der wirkliche Name des Spitzels ist durch die Aussagen der ehemaligen Mitarbeiter bekannt. Er heißt Börries von Ditfurth und war bis Juli 2006 Hauptgeschäftsführer der Leipziger Industrie- und Handelskammer (IHK). Dort wurde er aus dem Dienst entlassen, weil er während der Arbeit scharfe Pistolen getragen und damit sogar Mitarbeiter bedroht hatte.
Von Ditfurth bestritt die Vorwürfe zwar, gab aber zu, tatsächlich Waffen mit ins Büro genommen zu haben. Wenn er von der Jagd direkt zur Arbeit fahre, dürfe er seine Waffen schließlich nicht im Auto liegen lassen, erklärte er damals. Polizei und Staatsanwaltschaft sahen das anders. Bei einer Durchsuchung im Privathaus von Börries von Ditfurth beschlagnahmten sie Gewehre und Munition. Außerdem ermittelten sie wegen des Verdachts der Nötigung und unerlaubten Waffenbesitzes gegen von Ditfurth, der Oberst der Reserve bei der Bundeswehr ist.
Pietro Nuvoloni, Sprecher der Insolvenzverwaltung von Karmann, bestätigt, dass ein "Sicherheitsbeauftragter" bei Karmann tätig gewesen sei. Von einem "verdeckten Ermittler" will er nicht sprechen. So etwas gebe es nur beim Staatsschutz.
Der Sicherheitsbeauftragte habe zum einem die Aufgabe gehabt, "Diebstähle" einzudämmen. Zum anderen habe er verhindern sollen, dass "geheime Informationen" an Dritte weitergegeben werden, etwa an Mitbewerber beim Verkauf des Unternehmens oder an die Presse. Der "Sicherheitsbeauftragte" habe außerdem das Telefonnetz und die EDV-Anlage auf Lecks untersuchen sollen, so Pietro Nuvoloni.
Die Vorwürfe, ob von Ditfurth Mitarbeiter ausgehorcht habe, könne er nicht überprüfen, sagt Pietro Nuvoloni. Ditfurth selbst habe allerdings am Freitagmorgen vor dem Insolvenzverwalter versichert, dass das "niemals der Fall" gewesen sei. Die Insolvenzverwaltung werde die Vorwürfe dennoch überprüfen, versprach Nuvoloni. Einen Kontakt zu Börries von Ditfurth wollte er aber nicht herstellen. Auch auf anderen Wegen war von Ditfurth nicht zu erreichen. Unter der Nummer seiner Unternehmensberatung in Sachsen ging niemand ans Telefon.
Der Betriebsrat von Karmann reagierte entsetzt auf den Einsatz des Spitzels im Betrieb. "Das verstößt ganz klar gegen das Betriebsverfassungsgesetz", sagt Gerhard Schrader, stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrates. Dass es Diebstähle bei Karmann gegeben hat, kann er zwar bestätigen. Doch das rechtfertige nicht ein solches Vorgehen.
"Zur Aufklärung von Diebstählen haben wir die Polizei", sagt Schrader. Betriebsrat und IG Metall verlangen von der Insolvenzberatung eine Aufklärung des Falles. Schrader: "Wir wollen wissen: Zu welchem Zweck wurde der Ermittler eingesetzt? Und was hat das eigentlich gekostet?"
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