Autobranche im Konzentrationsprozess: Jäger und Gejagte
Chrysler, Opel und Fiat belegen es: Die Nachfrage nach Autos reicht nicht, um alle Hersteller adäquat auszulasten. Gerade in der jetzigen Krise bekommen das viele zu spüren.
Er hat es tatsächlich gesagt. Fiat-Chef Sergio Marchionne hat einen Einstieg von Fiat bei Opel als "Hochzeit im Himmel" bezeichnet. Wusste er, was er tat? Hat ihm niemand gesagt, dass Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp mit exakt diesem süßlichen Bild die Fusion mit Chrysler beschrieben hatte? Und dass nach dem gigantischen Scheitern der Welt AG aus Stuttgart diese Formulierung hämisch ausgeschlachtet wurde?
Vielleicht aber wollte Marchionne diese Anknüpfung an das Megaprojekt Daimler-Chrysler-Mitsubishi. Denn zum einen ist Fiat nun für Chrysler der Hoffnungsträger, der Daimler niemals war. Zum anderen geht es Marchionne um die Schaffung eines neuen Weltkonzerns. Und das hat nichts mit romantischen Autohochzeiten oder einer tollen Wachstumsstory für die Börsen zu tun. Ihm geht es um reine Zweckehen, wenn nicht gar Notgemeinschaften. Es geht um das nackte Überleben.
Die großen Autohersteller der Welt mit Unternehmenssitz, Jahresumsatz 2008, Mitarbeitern und ausgewählten Marken/Beteiligungen
Toyota: Toyota, Japan; 198,5 Mrd. Euro; 316.000; Subaru, Daihatsu, Lexus
General Motors: Detroit, USA; 112,7 Mrd. Euro; 243.000; Chevrolet, Cadillac, Opel, Saab, Daewoo
Volkswagen: Wolfsburg, Deutschland; 113,8 Mrd. Euro 370.000; Audi, Skoda, Seat, Bentley, Lamborghini, Bugatti
Ford: Dearborn, USA; 110,5 Mrd. Euro; 246.000; Lincoln, Rover, Volvo
Renault-Nissan: Boulogne-Billancourt, Frankreich und Tokio, Japan; 104,8 Mrd. Euro; 316.000; Renault, Nissan, Samsung, Dacia
Daimler: Stuttgart, Deutschland; 95,9 Mrd. Euro; 273.000; Mercedes, Smart, Maybach
Honda: Tokio, Japan; 90,4 Mrd. Euro; 179.000; Honda
Hyundai: Seoul, Südkorea; 69,1 Mrd. Euro; 115.000; Kia, Hyundai, Proto
Fiat: Turin, Italien, 59,4 Mrd. Euro, 200.000; Fiat, Alfa Romeo, Ferrari, Lancia, Maserati
PSA: Paris und Sochaux-Montbéliard, Frankreich; 54,7 Mrd. Euro; 207.000; Peugeot, Citroën
BMW: München, Deutschland; 53,2 Mrd Euro; 100.000; BMW, Mini, Rolls-Royce u. a.
Suzuki: Hamamatsu, Japan; 21,5 Mrd. Euro; 50.000; Suzuki
Chrysler: Auburn Hills, USA; 64 Mrd. Euro (2007); 58.000; Jeep, Dodge, Plymouth
Denn dass die globalisierte Autowelt längst zu klein ist für die noch immer existierenden 13 großen Hersteller und eine sogenannte Marktbereinigung mit entsprechenden Übernahmen und Pleiten bevorsteht, ist für Experten schon lange eine ausgemachte Sache. Die Krise beschleunigt nur diesen Prozess. Sechs bis sieben Unternehmen werden am Ende überbleiben, sagen die Experten.
Ginge es allein nach der Größe, wäre die Entscheidung schon gefallen. Hier haben sich die ersten fünf bereits einen ordentlichen Vorsprung erarbeitet. Ganz vorne drängen sich Toyota und General Motors, die jährlich jeweils rund 9,3 Millionen Fahrzeuge produzieren. Dann folgen Volkswagen und Ford mit je 6,3 Millionen sowie Renault-Nissan mit gut 6,1 Millionen Autos. Dabei hat VW die größten Ambitionen. Gerade erst hat Konzernchef Martin Winterkorn das Ziel ausgegeben, den Absatz bis 2018 auf 11,2 Millionen Fahrzeuge zu steigern und damit Branchenerster zu werden.
Bedrängt werden die Spitzenhersteller von Honda, Hyundai und PSA-Peugeot-Citroën, die jährlich zwischen 3,5 und 4 Millionen Autos bauen. Schon mit dem Einstieg bei Chrysler und damit mehr als 5,2 Millionen Fahrzeugen könnte Fiat diese Gruppe überholen. Käme noch Opel hinzu, würde der neu fusionierte Konzern mit 6,5 Millionen sogar auf einen höheren Output kommen als Ford oder VW.
Doch gerade in Deutschland wird daran gezweifelt, ob Fiat diese Fusion mit einer Verschuldung von aktuell 6,6 Milliarden Euro überhaupt finanziell stemmen kann. Dabei stehen den Schulden nach Analystenschätzungen immerhin gut 5 Milliarden Euro liquider Mittel entgegen, mit denen Opel gekauft werden könnte.
Nicht gelöst sind dagegen Mentalitätsfragen. Die aber können, wie das Beispiel Daimler-Chrysler-Mitsubishi zeigt, entscheidend sein. Der Weltkonzern war auch daran gescheitert, dass die Integration der unterschiedlichen Kulturen nicht klappte. Und gerade den Opel-Mitarbeitern stecken noch die uneffizienten Jahre der mit Fiat gemeinschaftlich betriebenen Firma Powertrain in den Knochen, die Motoren und Antriebe für die GM-Gruppe und Fiat entwickelte. Nach Ansicht der Opel-Mitarbeiter haben vor allem die Turiner von dem Joint Venture profitiert, indem sie Fahrzeugarchitekturen von Opel Corsa, Opel Vectra und Saab für ihr Programm nutzten. Eine neuer Zusammenschluss bedürfte einer Charmeoffensive.
Doch selbst wenn Fiat, Opel, Chrysler und möglicherweise auch noch PSA zusammengehen, droht den etablierten Unternehmen die neue Konkurrenz aus China und Indien. Bislang ist die Autobranche dort sehr aufgesplittet. Aber die chinesische Regierung hat bereits das Ziel ausgegeben, die größeren Hersteller zusammenzufassen. Man erwartet, dass sie bis 2011 zwei oder drei Topkonzerne formt, die jeweils mehr als 2 Millionen Autos produzieren.
"Wer überlebt, wird in Asien entschieden", sagt Willi Diez, der das Institut für Automobilwirtschaft an der Uni Nürtingen-Geislingen leitet. Er schätzt deshalb, dass VW die besten Chancen hat, weil das Unternehmen in China "bärenstark" sei. Daneben setzt er auf Daimler, BMW, Toyota und Ford, während von den beiden französischen Herstellern nur einer übrig bleiben könne. Grundsätzlich hält Diez dabei Kooperationen, wie sie Daimler und BMW planen, für erfolgversprechender als große Zusammenschlüsse - auch wenn die Fusion von Fiat und Opel "eine mögliche Konstellation" sei. "Aber da wird Opel Federn lassen müssen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Trumps Pläne für Gaza
Ankündigung eines Jahrhundertverbrechens
Bildungsmesse Didacta
Der AfD keine Bühne geben
Wohnungsnot in Deutschland
Bauen bleibt Luxus
Energieversorgung in Deutschland
Danke, Ampel!
Merkel kritisiert Merz erneut
Ex-Kanzlerin unterschreibt „Oma-gegen-Rechts“-taz
Nach massiver internationaler Kritik
US-Regierung relativiert Trumps Gaza-Pläne