Autoabfackeln in Berlin: Feuer von allen Seiten
Anders als die CDU höhnt meldet die Polizei erste Fahndungserfolge: Elf Verdächtige sind ermittelt, die Taten hängen nicht zusammen, nicht nur Linke zündeln.
Die Polizei sieht erste Erfolge im Kampf gegen die Autobrandstiftungen. Insgesamt elf verdächtige Personen wurden bisher ermittelt, vier davon sitzen in Untersuchungshaft. Zudem ist für die Polizei klar, dass die Motive für die Brandstiftungen unterschiedlich sind. Die Täter sind "nicht zwingend im linksautonomen Spektrum" zu suchen, sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) der taz. Vielmehr handle es sich um nicht koordinierte Einzelaktionen. Seit Jahresbeginn wurden laut Polizei bereits 173 Brandanschläge in der Stadt verübt, bei denen insgesamt 267 Autos beschädigt oder zerstört wurden - so viele wie im gesamten Vorjahr nicht. In der Nacht auf Samstag gab es einen weiteren Anschlag, diesmal in Neu-Hohenschönhausen. Zwei Autos brannten dabei aus, eines wurde beschädigt.
Es ist das Lieblingsmantra der Opposition. Innensenator und Polizei gelinge es einfach nicht, den nächtlichen Autobrandstiftungen Herr zu werden, schallt es aus den Reihen von CDU und FDP. Innensenator Körting will das nicht gelten lassen: "Wir tun alles, um diese hinterhältigen Straftaten aufzuklären und die Täter vor Gericht zu bringen." Die PKW-Zündeleien seien eine "politisch ummäntelte Kriminalität". Es gehe vorgeblich darum, Reiche und bestimmte Firmen zu vertreiben. "Wer aber anderen vorgibt, wo und wie sie zu leben haben, ist extremistisch und verfassungsfeindlich", so Körting zur taz.
Es sind vier Verdächtige, die sich wegen vermeintlicher Autobrandstiftungen in Berlin inzwischen in Untersuchungshaft befinden. Drei von ihnen haben offenbar Verbindungen zur linken Szene.
Bereits seit dem 20. Mai sitzt Alexandra R. in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Pankow. Die 21-Jährige soll versucht haben, einen Mazda in der Liebigstraße in Friedrichshain mit Grillanzündern in Brand zu setzen. Nach ihrer Verhaftung wurde sie zunächst freigelassen - nach dem Auftauchen neuer Beweismittel kurz darauf aber wieder festgenommen. Die Polizei hatte einen Sprühkopf in ihrer Wohnung und passende Sprühdosen am Tatort gefunden.
Die U-Haft wird mit einer bestehenden Fluchtgefahr wegen einer zu erwartenden "mehrjährigen Freiheitsstrafe" begründet. Inzwischen sind die Ermittlungen abgeschlossen, ein Verhandlungstermin steht noch aus. Eine Solidaritätsgruppe fordert die Freilassung von Alexandra R. Ebenso R.s Anwältin. Sie sagt, bei ihrer Mandantin spreche nichts für eine Fluchtgefahr. Sie habe eine Wohnung, sei nicht vorbestraft, sei regelmäßig ihrer Ausbildung nachgegangen und lebe zudem in einem festen sozialen Gefüge.
Die 21-Jährige ist Mitglied der antifaschistischen "Berliner Anti Nato Gruppe" (BANG). Am 1. Mai 2008 hatte sie in Hamburg Steine auf eine Bank geworfen - und war zu Sozialstunden verurteilt worden. Noch zur diesjährigen Walpurgnisnacht meldete sie ein Konzert gegen Kapitalismus am Boxhagener Platz mit an. Freunde bezeichnen sie als "überzeugte Kriegsgegnerin".
Ebenfalls aus der linken Szene soll Christoph T. kommen. Der 22-jährige Pankower befindet sich seit dem 15. Juli in der JVA Moabit. Er steht im Verdacht, mit einem 20-jährigen Komplizen Mitte Juni einen VW-Passat in der Pettenkoferstraße, ebenfalls inFriedrichshain, mit Lampenöl in Brand gesetzt zu haben. Auch Christoph T. wurde zunächst freigelassen, nach Beschwerde der Staatsanwaltschaft aber wieder festgenommen. Begründung auch hier: Fluchtgefahr. Bei seiner Verhaftung soll der 22-Jährige Kleidung der "linken Szene" getragen haben.
Der Niederländer Niels V. wurde am 12. Juni festgenommen - während der linksautonomen Action Weeks, zu der er eigens angereist sein soll. Der 24-Jährige soll zusammen mit einem 18-Jährigen einen Mercedes in der Kreuzberger Adalbertstraße in Brand gesetzt haben. Niels V. soll sich nach Polizeiangaben selbst der linken Szene zurechnen.
Keinen politischen Bezug scheint dagegen Grzegorz S. zu haben. Der 33-jährige Pole war Ende Mai verhaftet worden, nachdem er an zwei Autos in Mitte die Seitenscheiben eingeschlagen und brennbare Flüssigkeit in deren Innenräume geschüttet hatte. Konrad Litschko
Schon vor Monaten hat die Berliner Polizei ihren Einsatz gegen die Brandstifter verstärkt. Seit März ermittelt nach jedem Brandanschlag der Staatsschutz, die Abteilung 5 beim Landeskriminalamt (LKA), zuständig für politisch motivierte Kriminalität. Die Beamten dort arbeiten mit Brandexperten und dem Verfassungsschutz zusammen. Als "de facto Sonderkommission, bei der alles zusammenläuft", beschreibt Körting das Lagezentrum.
Die Zahl der Mitarbeiter dort sei zuletzt noch einmal erhöht worden, ebenso wie die Anzahl der Zivilbeamten, die gezielt auf der Suche nach Brandstiftern in der Stadt unterwegs seien. Die Polizei setze auf "nicht erkennbare Kräfte und Mittel", so Polizeisprecher Frank Millert, und fügt hinzu: "Wir tun alles, was sinnvoll ist."
Das zeigt inzwischen Wirkung. Es dauerte bis Mai, bis die Polizei erstmalig eine mutmaßliche Autozündlerin festnehmen konnte: die 21-jährige Alexandra R. Seitdem hat die Polizei elf Verdächtige gefasst. Neben Alexandra R. sitzen drei weitere Beschuldigte in U-Haft: der 22-jährige Christoph T., der 24-jährige Niederländer Niels V. und der 33-jährige Pole Grzegorz S. (siehe Text unten).
Für sie fordert Körting hohe Strafen. "Ich hoffe auf ein deutliches Zeichen im Rahmen des Strafgesetzes", so der Innensenator. Da das Feuer auch auf Häuser übergreifen könnte, würde eine Verwarnung der Schwere der Tat nicht gerecht. Auch die Staatsanwaltschaft rechnet mit hohen Haftstrafen. So wird der Haftbefehl gegen Alexandra R. mit einer bestehenden Fluchtgefahr begründet - ob einer zu erwartenden "mehrjährigen Freiheitsstrafe", wie es im Haftbefehl heißt. Inzwischen sind gegen Alexandra R. und Christoph T. Anklagen erhoben. Die Verhandlungstermine stehen noch nicht fest.
Die Polizei geht davon aus, dass von den 173 Anschlägen in diesem Jahr 96 politisch motiviert waren und 77 wahrscheinlich unpolitisch. Nur in 13 Fällen seien Bekennerschreiben aufgetaucht, so Sprecher Millert. Innensenator Körting sieht die Brandstifter daher "nicht zwingend im linksautonomen Spektrum". Es seien unorganisierte Einzeltäter oder Kleinstgruppen, die spontan agieren würden.
Wohl aber würde die linke Szene die Brandstiftungen akzeptieren und sich "klammheimlich darüber freuen", kritisiert Körting. Für Gewalt gebe es aber keine Entschuldigung, "auch keine politische". "Wir werden den Brandstiftern deshalb deutlich machen, dass sie sich auf einen Weg begeben, der Unfreiheit bedeutet."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten