Auto abschaffen aus Liebe: Verzicht ist sexy!

Neue Kolumne „Stimme meiner Generation“: Elena findet Autos blöd, Aron findet Elena toll. Weshalb er ab sofort nicht mehr Auto, sondern Fahrrad fährt. Eine super Entscheidung.

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Von ARON BOKS

taz FUTURZWEI, 14.04.22 | Es ist Frühling, Ausgehwetter und Zeit, mich der Welt zu zeigen.

Die Welt heißt Elena, und wir haben uns bereits einmal getroffen. Ich weiß nicht viel über sie, außer dass ich bereits in sie verliebt bin und sie „Fahrradaktivistin“ ist. Das hatte sie mit einem fünfminütigen Monolog über Autos unterstrichen. Entgegen meiner Erwartung findet sie deswegen aber nicht alle Autofahrer:innen per se blöd – dafür aber besonders die, die den ohnehin schon begrenzten Lebensraum in Berlin mit ihren Karren zuparken, ohne sie wirklich zu fahren.

„Das sind die Schlimmsten“, hatte ich gesagt und von einem Auto erzählt, dass monatelang ungefahren in meiner Straße geparkt stand und an dessen Scheiben die bunten Visitenkarten von diversen KFZ-Händlern immer flehender wirkten.

Aron-Boks

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 28, ist taz Panter-Volontärin in der taz-Redaktion.

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und ist seit Oktober 2021 taz Panter Volontärin.

„Genau das meine ich“, hatte sie gesagt und den Kopf geschüttelt.

Dass es sich dabei um mein Auto handelte, habe ich verschwiegen. Schließlich bin ich längst kein Autofahrer mehr. Und nicht nur das – ich habe mich bewusst gegen das Autofahren entschieden – was doch eigentlich noch viel mehr von einer Person in Berlin abverlangt als lediglich den Status Quo einer städtischen Nichtfahrer:in von Geburt an aufrecht zu erhalten.

Mir ist einfach klar geworden, dass ich mich im Verzicht üben muss. Außerdem ließ sich das Auto kaum noch durch die Stadt fahren, ohne dabei so ein werkstattverdächtiges und sehr lautes Quietschgeräusch von sich zu geben. Eines, das noch jeder Hundertmeter entfernten Person ein „Achtung, hier kommt ein Arschloch!” entgegenschrie.

So einer bin ich nicht mehr

Nein, so einer bin ich nicht mehr. Und es wird Zeit, dass Menschen wie Elena das auch sehen, denke ich und beschließe mir mein erstes Stadtfahrrad zu besorgen.

An einem Haus nahe meiner Wohnung steht ein elegantes weiß-schwarzes Rennrad mit einem Schild „Zu verkaufen“ – und einer Telefonnummer, die ich sofort anrufe. Ein paar Minuten später tritt ein bulliger Typ mit Kapuzenpullover und tätowierter Glatze aus einer Wohnungstür.

„Hast du angerufen?“, fragt er und stellt sich mit verschränkten Armen vor mich hin. Ich nicke etwas zögerlich. Auf dem linken Bein seiner Sweatpants steht ein verdächtig wirkender Schriftzug.

Und Fuck, denke ich.

Ich will mein Fahrrad ganz sicher nicht bei einem Neonazi kaufen. Was bringt da jeder Einsatz ein besserer Mensch zu werden, wenn man zeitgleich die Rechten unterstützt? Andererseits ist das ein sehr schönes und, wie sich im Gespräch herausstellt, auch sehr preiswertes Fahrrad.

„Mir geht es nicht um die Kohle“, sagt der Typ und während ich vorgebe, mein Budget auf meinem Handy auszurechnen, google ich den Schriftzug auf seiner Hose. Der Online-Artikel „Ist XXX eine Nazimarke??“ gibt erste Entwarnung: keine Nazimarke. Aber man kann ja nie wissen.

Keine Sorge, ich bin Buddhist

„Ich habe einen Freund mit einer gleichen Hose“, sage ich gestelzt. „Der hat immer das Pech, dass Leute glauben er wäre ein Nazi … also wegen dieses Schriftzugs.“

Er verdreht die Augen.

„Wenn dir die Glatze Angst macht, dann musst du dir keine Sorgen machen – ich bin Buddhist. Willst du jetzt das Fahrrad haben oder nicht?“

Selbstverständlich will ich.

Es ist bemerkenswert wie harmonisch mein Kiez in Neukölln wirkt, wenn man nur auf zwei Rädern fährt. Wenn ich früher für einen kurzen Moment die Straße versperrte, um das Auto vor meiner Wohnung zu parken, konnte ich regelmäßig Bilderbuch-Hippie-Eltern zusehen wie sie zu Choleriker:innen wurden. Diekönnen sich gar nicht vorstellen wie viel Stress es bedeutet, zwischen all den neuen Pollern und Radwegen einen Platz für das Auto zu finden. Aber das sollen nicht mehr meine Sorgen sein. Mein Bruder hatte den Wagen repariert und mit zu sich genommen. Schließlich könne er nicht auf das Fahren verzichten.

Na ja – wer’s braucht, denke ich und trete in die Pedale meines federleichten, aber – warum auch immer – sehr mühsam zu fahrenden Zweirads. Vermutlich eine Frage der Gewöhnung. Aber dafür bleibt wenig Zeit, schließlich werde ich bereits von Elena erwartet. Wir machen eine Fahrradtour.

Super gelaunt und top gestyled, trotz Verzicht

Elena sieht mir kurz in die Augen und mustert mich von meiner aufgesetzten North-Face Cap und der beigen Lacoste-Jacke bis runter zu den Slim-Fit Jeans. Ich sehe zwar eher so aus, als würde ich nicht auf eine Fahrradtour, sondern zu einem Tennisspiel gehen, aber dennoch genauso, wie ich mich fühle: Wie ein ökologisch bewusster Großstädter, der verzichten kann und trotzdem super gelaunt und top gestyled ist. Ich denke an den armen Buddhisten – er macht die Welt mit seinen billigen Fahrrädern sauberer und könnte es doch so viel besser haben, wenn er dann auch mehr wie ein Mönch und weniger wie ein Hooligan aussehen würde.

„Du fährst nicht oft, oder?”, sagt Elena.

„Wie meinst du das?“

„Du hast kaum Luft im Reifen … und kein Licht.”

Noch macht es absolut keinen Spaß, ein besserer Mensch zu sein.

Eigentlich wollte ich doch auch gar nicht mit diesem wirklich unbequemen Ding von A nach B fahren, sondern einfach als jemand gesehen werden, der auf sein Auto verzichtet.

Ich denke an meinen Bruder, der sich still an seinem Auto erfreut, ohne dafür gleich einen Anti-Fridays for Future Sticker an seine Stoßstange kleben zu müssen und an den Buddhisten, dem es egal ist, wie er aussieht, während ich mich vor Elena mit diesem unaufgepumpten Fahrrad wie ein Trottel fühle.

„Beim nächsten Mal bin ich besser ausgerüstet”, nuschele ich.

Sie lächelt. „Vielleicht gehen wir dann einfach spazieren”, sagt sie.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.

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