Autark in Spanien leben: Dorf kaufen, Bewohner casten
Mit Hilfe von Blackberry und Facebook sucht ein junger Mann Mitstreiter für ein autarkes Leben in einem verlassenen spanischen Ort. Auf "Hippies" will er aber verzichten.
![](https://taz.de/picture/296320/14/Dorf_Spanien.20100924-14.jpg)
Im Februar war Zoltan Dominic Graßhoff bei einer Astrologin. Sie hat Karten gelegt, Schablonen studiert und Sternenkoordinaten berechnet. Bald kommt da etwas ganz Großes, hat sie versprochen. Damals wusste Graßhoff noch nicht, was das sein könnte. Heute ist er sich sicher: Das unbestimmte Große ist sein Dorf.
Zoltan Dominic Graßhoff, 35 Jahre alt, sitzt in Berlin auf einer Holzbank an der Spree, nippt an seiner Holunderbionade und guckt auf das Wasser. Mit seinem schwarzen Polohemd, den sorgfältig rasierten Wangen und zurückgekämmten Haaren könnte er auch ein aufstrebender Jungunternehmer sein. Und vielleicht ist er das sogar irgendwie. Auch er hat einen Traum, einen Plan: Zoltan Dominic Graßhoff möchte ein verlassenes Dorf in Spanien kaufen. Mehrere hundert davon soll es allein in Südspanien geben. Dort will er mit dreihundert Mitstreitern leben und arbeiten, einmal im Jahr soll die gesamte Dorfgemeinschaft ein Musikfestival organisieren.
Zurzeit ist Graßhoff in der "Leutefindungsphase", wie er es nennt. Denn "coole Leute" seien für dieses Projekt das Wichtigste. Dafür tourt er durch ganz Deutschland: München, Düsseldorf, Hamburg, aber auch Städte in der Schweiz und Österreich. Heute ist er dafür in eine Berliner Strandbar gekommen. Ein "Chill and Grill"-Treffen hat er in seiner Facebookgruppe angekündigt. So möchte er Mitstreiter finden.
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Graßhoff zieht sich seinen dunkelgrauen Wollmantel über, wickelt seinen pinkfarbenen Palästinenserschal fest um den Hals. Es ist frisch direkt am Wasser, der kühle Wind bläst ihm ins Gesicht. Der Sommer ist zu Ende - für Graßhoff und sein Projekt ist das gut, das weiß er. Seine Gleichung ist einfach: Je schlechter das Wetter in Deutschland ist, umso mehr Leute wird er für sein Projekt begeistern können. Spanien verspricht Wärme und Sonne - das zieht.
Wie für jedes Start-up gibt es auch für Graßhoffs Unternehmen einen optimalen Zeitpunkt, sein Projekt hat im Herbst und Winter Konjunktur. Bei Facebook gründete er vor ein paar Monaten eine Gruppe "Ein malerisches Dorf in Spanien am Wasser" heißt sie, über 1.000 Anhänger hat sie schon. Seine Idee sei eingeschlagen wie eine Bombe.
Die Sehnsucht nach dem Aussteigen ist nicht neu, und doch möchte Zoltan anders sein als alle Aussteiger vor ihm. "Diese ganzen Hippies und Indienfans brauchen wir nicht", sagt er und zieht an seinem Joint. Die würden nur reden und nicht handeln. Was für Leute sucht er? Die Antwort kommt schnell. Cool sollten sie sein, er benutzt das Wort schon wieder, cool auf jeden Fall. Leute, die teilen können. Schließlich sind in der Dorfgemeinschaft alle gleich.
Fünf, die sich vielleicht bald mit ihm auf den Weg nach Spanien machen könnten, sind heute in die Bar an der Spree gekommen. Dort sitzt Margareta, sie ist Heilerin und Yogalehrerin und sagt, dass sie sich das Ganze erst mal angucken möchte. Margareta hat schon in vielen Ländern gelebt, Russland, Ukraine - und jetzt Deutschland. Spanien, das klingt für sie gut, nach Sonne, Meer. Yogakurse kann sie überall geben, warum nicht auch in Spanien? Oder Ruwen, er ist Schreiner, möchte sich selbständig machen. Wo, das ist ihm egal. Spanien würde ihm auch gefallen.
Das, was bei Graßhoffs Projekt feststeht, ist noch nicht sehr viel: Um ein leer stehendes Dorf zu kaufen, braucht er mindestens 250 Mitstreiter, die je 5.000 Euro investieren. Dann käme er auf 1,25 Millionen Euro. Mit diesem Geld könnten verlassene Häuser von den Eigentümern gekauft und eine Struktur errichtet werden. Später soll jeder Dorfbewohner achtzig Stunden pro Monat für die Gemeinschaft arbeiten.
Auf Graßhoffs Homepage können Interessierte einen Fragebogen ausfüllen. Mit Fragen wie: "Womit verdienst du gerade dein Geld?" Schließlich sei es wichtig, dass die Mischung der Dorfgemeinschaft stimme, sagt Graßhoff. Momentan verdient er seinen Lebensunterhalt mit Pokern, davor hat er in Callcentern und bei einer Fernsehproduktionsfirma gearbeitet.
Gut dreihundert Fragebögen hat er schon bekommen, darunter sind die unterschiedlichsten Berufsrichtungen. Sein Zeigefinger trommelt auf seinem Blackberry, dann liest er vor: Elektriker, Schüler, Barkeeper, auch ein promovierter Mikrobiologe. "Sobald wir das Dorf gefunden haben, wird es voll", sagt er mit dem Selbstbewusstsein eines Unternehmensgründers, der weiß, dass es vor allem an ihm liegt, ob sich das Start-up auf dem Markt behaupten kann. Im Dorf selbst gebe es später "Kompetenzteams" mit Sprechern, alle wichtigen Entscheidungen würden hier gefällt. "Grüße an Angie", sagt er - die nannte ihr Team im Wahlkampf schließlich auch so. Dann sagt Graßhoff: "Wir sind wie eine Firma, wir wollen auch erfolgreich sein." Sieht so ein Aussteiger im Jahr 2010 aus?
"Politik ist kein Thema", sagt Graßhoff. Ja, ökologisch soll es sein, das Dorf. Solarenergie, Nachhaltigkeit sind für uns große Themen, sagt er und klingt dabei wie Umweltminister Norbert Röttgen bei einer Wahlveranstaltung. Und wie bei Röttgen weiß man auch nicht so genau, was letztendlich davon umgesetzt und was nur einfach so dahergesagt wird, um Mitstreiter zu gewinnen.
Denn auch Graßhoff ist auf Stimmenfang, muss Überzeugungsarbeit leisten und die Fragen von Ruwen und Margareta beantworten. Auch die haben wenig von Woodstock und Flower-Power: Habt ihr einen Finanzberater? Gibt es einen Rechtsanwalt? Wie sieht es mit einer staatlichen Förderung aus? Und was, wenn all das nicht klappt? "Dann haben wir alle etwas erlebt und schreiben ein Buch", sagt Zoltan Dominic Graßhoff und zieht noch einmal an seinem Joint. Das wäre dann das nächste Projekt.
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