Auswirkungen der Hitze: Ozon macht Senat lethargisch
Mit der Hitze sind die Ozonwerte drastisch gestiegen - in den 90er Jahren wäre nun Panik ausgebrochen. Doch Umweltverwaltung und Forscher glauben, dass man auf lokaler Ebene nichts gegen das Reizgas tun kann
Seit mehreren Tagen ist Berlin dunkelblau. Die Ozonhöchstwerte in der Stadt klettern auf über 120 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, auf einer Karte des Umweltbundesamts ist das in dunkelblauer Farbe gekennzeichnet. Zwischendurch, zum Beispiel am vergangenen Samstag, war die Hauptstadtregion sogar gelb eingefärbt. Das heißt: Die Ozonbelastung lag zwischen 180 und 240 Mikrogramm pro Kubikmeter.
"Ozon ist ein gefährliches Reizgas, das tief in die Lunge eindringt und die feinsten Verästelungen der Lunge schädigt", sagt Karsten Smid von der Umweltorganisation Greenpeace. Bei Menschen kann es zu Reizungen der Schleimhaut und zu Kopfschmerzen führen und auch die Lungenfunktion einschränken. Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes (UBA) reagieren 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung empfindlich auf Ozon. Besonders gefährdet sind neben alten Menschen Säuglinge und Kleinkinder. Doch von einer breiten Debatte über die Ozonbelastung, wie es sie in den 90er-Jahren gab, ist die Öffentlichkeit derzeit weit entfernt.
Ozon ist ein Schönwetterphänomen. Um zu entstehen, braucht es Sonneneinstrahlung. Das Gas bildet sich dann in Bodennähe aus Stickstoffoxiden und Kohlenwasserstoffen. Daher trägt der Autoverkehr zum Entstehen von Ozon bei. Die Senatsverwaltung für Gesundheit warnt an den Tagen mit hohen Werten vor Sport im Freien in der Mittagszeit. Sie empfiehlt außerdem, das Auto stehen zu lassen. Mehr passiert nicht. Selbst bei einer hohen Ozonbelastung gibt es maximal einen Alarm - aber keine verbindlichen Ge- oder Verbote (siehe Kasten). Die Politik glaubt, dass das dennoch reicht: "Ich gehe fest davon aus, dass die Appelle etwas bringen", sagt Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei).
Das sieht Hans-Joachim Hummel ganz anders: "Wir werden zum jetzigen Zeitpunkt die Zielwerte nicht einhalten, und die Minderung wird nicht groß sein, wenn wir appellieren", sagt der Leiter des Fachgebiets Grundsatzfragen Luftreinhaltung beim UBA. Aber es sei wichtig, deutlich zu machen, dass jeder Einzelne etwas tun könne.
Würden Fahrverbote also etwas bringen? Das Problem bei Ozon ist, dass sich die Belastung nicht dort niederschlägt, wo sie verursacht wird. "Wo viel Verkehr ist, ist die Ozonbelastung in der Regel gering", sagt Eberhard Reimer, Leiter der Arbeitsgruppe Troposphärische Umweltforschung an der Freien Universität. Das Ozon bekommt also nicht der Autofahrer auf der Stadtautobahn ab, sondern der Jogger im Grunewald. Auch Arno Graff, Fachgebietsleiter Luftreinhaltung beim UBA, sagt daher: "Rein theoretisch könnten die Länder Fahrverbote einrichten. Praktisch halte ich das aber nicht für sinnvoll."
Die Situation sei mittlerweile anders als in den 90er Jahren, in denen teilweise flächendeckend über 240 Mikrogramm gemessen wurden. Die Ausrüstung der Autos mit Katalysator, die Euro-Normen für Fahrzeuge, ein geringerer Einsatz von flüchtigen Kohlenwasserstoffen, all das habe etwas gebracht. "Nun kommt es noch stärker auf langfristige Maßnahmen an", so Graff.
Greenpeace-Mitarbeiter Smid sieht die Situation nicht so positiv. "Der Verkehr ist nach wie vor eine dominierende Ozonquelle", betont er. Fahrverbote würden sehr wohl etwas bringen, wenn sie frühzeitig ausgesprochen würden. "Die aktuelle Hitzeperiode zum Beispiel war absehbar und mit ihr auch die hohe Ozonbelastung." Ein bis zwei Tage vorher müsste in Berlin der Verkehr - mit Ausnahme von Einsatzfahrzeugen und öffentlichem Nahverkehr - unterbunden werden, wenn man eine starke Belastung wirklich vermeiden wolle.
Die Wissenschaftler und auch Umweltsenatorin Lompscher sind indes gegen Fahrverbote. Sie sprechen von Abwägungen zwischen den Ozonwerten und dem Eingriff in die Rechte von Einzelnen, den ein Fahrverbot bringen würde. Außerdem gebe es keine rechtliche Grundlage, weil Fahrverbote wegen hoher Ozonwerte nicht im Berliner Luftreinhalteplan aufgeführt sind, erklärt Martin Lutz, Meteorologe in der Umweltverwaltung. Fahrverbote wären also möglich, wenn sie im Luftreinhalteplan stünden? Bei der Umweltzone, die gegen Feinstaub wirken soll, seien Autofahrer vor Gericht gezogen, erläutert die Sprecherin der Verwaltung. Man habe nur gewonnen, weil man dem Gericht darlegen konnte, dass die Maßnahme wirksam sei. Das würde bei Fahrverboten gegen Ozon anders aussehen.
Doch auch ohne Fahrverbote muss der Ozonwert weiter sinken. Als großes Ziel - ursprünglich war das Jahr 2020 vorgesehen, später eine konkrete Jahreszahl gestrichen - soll laut EU-Vorgabe die Ozonbelastung im achtstündigen Mittelwert gar nicht mehr über 120 Mikrogramm steigen. Wie soll das gehen?
Hier verweisen alle auf langfristige Maßnahmen. Man müsse die Vorläufersubstanzen, aus denen Ozon entsteht, verringern, sagt Hummel vom UBA. Man solle den Transport vom Lastwagen auf die Schiene verlagern und Kohlenwasserstoffe von Raffinerien, also aus der Industrie reduzieren, sagt Lutz aus der Umweltverwaltung. Die Verwendung von Lösungsmitteln in Farben und Lacken müsse eingeschränkt werden, fordert Greenpeace-Mitarbeiter Smid.
Doch die Aufgabe ist trickreicher. Denn mit dem Klimawandel, so prognostiziert es unter anderem eine Studie der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, werde die Zahl der heißen Tage zunehmen. Und damit auch die Häufigkeit der Wetterlagen, bei denen Ozon entsteht.
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