Ausweitung auf 24 Monate: Regierung verlängert Kurzarbeitergeld
Die Bundesregierung hat die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes von 18 auf 24 Monate beschlossen. Empfänger müssen hohe Steuernachzahlungen befürchten.
BERLIN ap/afp | Das Kurzarbeitergeld wird von 18 auf 24 Monate verlängert. Dies hat am Mittwoch die Bundesregierung in Berlin beschlossen, wie eine Sprecherin von Arbeitsminister Olaf Scholz sagte. Die Verordnung sieht zudem vor, dass die Bundesagentur für Arbeit den Arbeitgebern die Sozialversicherungsbeiträge für ihre Kurzarbeiter ab dem siebten Monat voll erstattet. Die Verlängerung können auch Betriebe in Anspruch nehmen, die ihrer Belegschaft wegen der scharfen Rezession bereits Kurzarbeit verordnet haben.
Kurzarbeit ist eine Möglichkeit für Unternehmen, die Produktion ohne Entlassungen vorübergehend zu drosseln. Der Arbeitgeber muss bei der örtlichen Arbeitsagentur Kurzarbeit beantragen. Bei Genehmigung zahlt die Bundesagentur für Arbeit den Beschäftigten als Ausgleich Kurzarbeitergeld. Die Zahl der Anträge hat sich wegen der Konjunkturkrise deutlich erhöht.
FDP-Generalsekretär Dirk Niebel lehnt die Entscheidung ab: "Mit verlängertem Kurzarbeitergeld wird Sand in die Augen der Menschen gestreut", sagte er sueddeutsche.de. Die von der Regierung vorgesehene Ausweitung der Zahldauer von 18 auf 24 Monate solle ein Gefühl der Sicherheit geben, "das der Realität nicht standhält".
Niebel verteidigte grundsätzlich das Kurzarbeitergeld als ein "hervorragendes Instrument, um Arbeitplätze kurzfristig zu sichern und Betrieben ihre Fachkräfte zu erhalten". Aber es sei sowohl für den Staat als auch für die Betriebe eines der teuersten arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Deshalb sei nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit "in 90 Prozent aller Fälle Kurzarbeitergeld lediglich für sechs bis acht Monate angemeldet worden. Spätestens dann brauchen die Betriebe auch mit Kurzarbeitergeld neue Aufträge".
Vorsicht ist auch für die Empfänger des Kurarbeitergeldes geboten. Denn hunderttausende Kurzarbeiter müssen sich auf teils saftige Steuernachzahlungen für dieses Jahr einstellen. Vielen drohen Nachzahlungen von mehreren hundert Euro oder entsprechend geringere Erstattungen der Finanzämter, wie der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine (BdL) am Mittwoch der Nachrichtenagentur AP bestätigte. Die Höhe sei abhängig von der Höhe des Einkommens und der Dauer der Kurzarbeit; in Einzelfällen drohten Nachzahlungen von mehr als 1.000 Euro. Betroffen seien vorwiegend verheiratete Arbeitnehmer.
Ursache ist der sogenannte Progressionsvorbehalt im Steuerrecht: Danach ist das Kurzarbeitergeld zwar steuerfrei, wird aber am Jahresende zum zu versteuernden Einkommen hinzugerechnet. Dadurch ergibt sich ein höherer Steuersatz, der dann auf das eigentlich zu versteuernde Einkommen angewendet wird.
Der Progressionsvorbehalt soll den Unterschied ausgleichen zwischen Arbeitnehmern, die steuerpflichtige und steuerfreie Einnahmen wie Kurzarbeitergeld beziehen und Arbeitnehmern, die nur steuerpflichtige Einnahmen haben, wie das Bundesfinanzministerium auf seiner Homepage erläutert.
Wieviel genau Kurzarbeiter zur Seite legen sollen, hängt vom Einzelfall ab und kann pauschal nicht beantwortet werden, wie BdL-Geschäftsführer Erich Nöll sagte. Je mehr Kurzarbeitergeld bezogen wird, desto mehr müsse nachgezahlt werden. Die Betroffenen könnten mit Hilfe eines Steuer-Computerprogramms nachrechnen oder Rat bei ihrem Steuerberater oder einem Lohnsteuerhilfeverein einholen.
Das gelte auch für Ehepaare, die bislang gemeinsam veranlagt werden und prüfen wollten, ob sich eine getrennte Veranlagung lohnen würde. Infrage kommen könnte dies laut Noell vor allem für Paare, die in etwa gleich viel verdienen. Der Progressionsvorbehalt gilt auch für andere staatliche Bezüge wie zum Beispiel Elterngeld oder Arbeitslosengeld I. Nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit sind derzeit rund 1,4 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit.
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