Auswanderer-Hochburg Imotski in Kroatien: Die Generation Mercedes
In Imotski wurde kürzlich das erste Gastarbeiter-Denkmal Kroatiens eingeweiht. Geschichten aus einer legendären Kleinstadt, die deutsche Autos liebt.
Imotski ist die Stadt der „Merđos“, wie die Kroaten das Statussymbol der Gastarbeiter liebevoll nennen. Mit 10.000 Einwohnern und 8.000 registrierten Mercedessen gilt Imotski als Stadt mit der größten Mercedesdichte weltweit.
Zwischen der seit der Antike besiedelten Stadt und der 30 km entfernten Adriaküste liegt das Biokovo-Massiv. Es trennt das dalmatinische Hinterland vom Meer wie ein Riegel. Mitten im Karst gelegen, ist Imotski umgeben von nacktem Stein, sperriger Macchia und zwei riesigen Felskratern.
An diesem Samstag heizt die Sonne den Fels in und um Imotski innerhalb kurzer Zeit auf. Um 11 Uhr sind es bereits 32 Grad. Ante Kukavica und der Bus würden normalerweise nicht hier, sondern längst im Schatten stehen. Aber es ist ein historischer Tag.
In Imotski wird das erste Denkmal für die „gastarbajteri“ in Kroatien eingeweiht: ein aus dem Fels der Stadt gehauener Mercedes 115, Baujahr 1968-1976. Besucher*innen aus Stuttgart und der ganzen Welt werden erwartet. Am Tag zuvor war verraten worden, wer die wochenlang als „Überraschungsgast“ angekündigte Person sein würde: Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Nicht nur die innige Verbindung zwischen Imotski und dem Mercedes sorgt für Witze über die Leute aus Imotski. Über keine andere Stadt Kroatiens macht man so viele Scherze, über keine andere gibt es so viele Vorurteile und Legenden. Bis heute sagt man den Leuten aus Imotski nach, Großmeister im Schwarzhandel und Schmuggel zu sein – kein Wunder, liegt doch die bosnische und damit die heutige EU-Außengrenze nur knapp sieben Kilometer entfernt.
Imotski gilt als Synonym für Auswanderung
Leute aus Imotski gelten als einfallsreiche Schummler und Betrüger und politisch bis auf höchste Ebenen einflussreiche Unternehmer. Der Tunnel, der unter riesigem Aufwand jahrelang durch den Biokovo gebohrt wurde, ist angeblich nur wegen des Einflusses der Leute aus Imotski gebaut worden: damit sie 20 km Umweg auf dem Weg ans Meer sparen.
Imotski wird in Kroatien außerdem synonym für Auswanderung (nach Deutschland) verwendet. Fast 20 Prozent der Einwohner*innen waren in den 1970er Jahren als „zwischenzeitlich im Ausland arbeitend“ registriert, Imotski war damit die Gemeinde in Jugoslawien, aus der am meisten Menschen auswanderten. „Teilweise fuhren wir hier samstags um 16 Uhr mit 10 Bussen gleichzeitig los“, erzählt Chauffeur Kukavica. „Ging die Tour nur bis München, nannten wir das Lokalverbindung“.
Autopoduzeće Imotski, das Busunternehmen, für das Kukavica gearbeitet hat, war einst das größte Kroatiens, heute spielt es keine große Rolle mehr. Imotski steht aktuell wieder im Zentrum einer neuen Auswanderungswelle. Heutzutage nutzt man zum Auswandern aber den eigenen Mercedes oder das Flugzeug.
Der Platz, auf dem das Gastarbeiter-Denkmal steht, wurde vom Bürgermeister umbenannt in „Platz der Auswanderer Imotskis“. Er liegt zentral, direkt an der Durchfahrtstraße der Stadt. Zwischen den hunderten Mercedes-Oldtimern, die an diesem Juni-Samstag um den Platz fahren, reihen sich auch neueste Modelle der A- und E-Klasse und ein Mercedes-Sprinter mit der Aufschriften eines Catering-Unternehmens aus Dreieich-Sprendlingen.
Über dem Denkmal ragt ein Kran in die Luft, an dem die kroatische und die deutsche Fahne wehen. Ein Mann läuft über den Platz und schwenkt eine riesige Fahne, die auf der einen Seite die deutsche, auf der anderen die kroatische Flagge.
Die Idee für das Denkmal an die Gastarbeiter hatte Ivan Topić Nota, heute im Ruhestand und Chef des Oldtimer Clubs Imotski. „Das Denkmal ist auch ein Zeichen der Dankbarkeit. Wir sind Deutschland dankbar dafür, dass es uns ein besseres Leben ermöglicht hat“, erzählt der gewichtige und gegerbte Nota, der eindrucksvoll große Hände hat.
„Ich kam aus einer sehr armen Familie“, erzählt er. „Wie viele andere ging ich damals nach Deutschland, um dort Geld für unser Brot zu verdienen und vielleicht eine Milchkuh und einen Schwarz-Weiß-Fernseher nach Hause zu bringen. Stattdessen kehrten wir mit einem Mercedes zurück.“
Zwischen Mercedes-Oldtimern und Besucher*innen stehen zwei Esel. Čedomir Lizatović, ein älterer Herr mit langem weißen Haar und Bart, führt sie an einem Strick. „Die Esel trugen früher die Koffer der Gastarbeiter zum Bus. Der Esel wurde ausrangiert und durch den Mercedes ersetzt“, erzählt Lizatović. „Heute wollen die Leute wieder Esel. Aber nur zum Kuscheln.“
Hommage Schlitzohrigkeit und Durchsetzungswillen
Lizatović wirkt wie einer der Figuren aus „Bettler und Söhne“, der kroatischen Kult-Serie aus den 1970er Jahren, die in der Gegend von Imotski spielt. Die TV-Erfolg hat keinen ganz kleinen Anteil an der Verfestigung der Vorurteile über die Leute von Imotski.
Sie beginnt am Ende des Ersten Weltkriegs, erzählt von den bettelarmen Einwohner*innen der Gegend, die das Handwerk des Bettelns zur höchsten Kunstform entwickelten. Der Großmeister der Bettler ist der alte Kikaš, dessen Enkel es im Laufe der Serie und der Jahrzehnte vom hausierenden Habenichts zum reichen Unternehmer bringt.
Statt die erbettelten Groschen zählt Matan irgendwann die Mercedesse in seiner Garage. Die Serie ist eine Hommage an den Witz, die Schlitzohrigkeit, den Durchsetzungswillen und den Einfallsreichtum der Leute aus Imotski, ohne dabei die leicht übersteigerte Liebe zum Geld, zum Prahlen und zum Patriarchat außen vorzulassen.
Die Darstellung ist nicht komplett fiktiv. Historisch nämlich waren die Leute aus Imotski berühmte Bauchladenverkäufer. Als solche hatten sie sich bis zum Zweiten Weltkrieg einen Namen nicht nur in dieser Gegend gemacht. Sie zogen bis nach Zagreb, Wien, Prag und New York, um Schnürsenkel und Streichhölzer zu verkaufen. Noch heute ist der Fußballfanclub Imotskis nach ihnen benannt: Galantari.
Zum Arbeiten ins Ausland zu gehen, hat in diesem kargen Landstrich also lange Tradition. Dass die aktuelle Auswanderungswelle junger Kroat*innen von Kirche und Politik als Vaterlandsverrat populistisch ausgeschlachtet wird, ist im Fall von Imotski komplett absurd. Zumal die meisten – auch das typisch für die Leute aus Imotski – immer zurückkehrten und mit dem im Ausland verdienten Geld ihre Familien und Freunde nicht nur mit Mercedessen versorgten.
Ein paar Meter neben dem Mercedes-Denkmal wird den neuen Auswanderern bereits ein eigenes Denkmal errichtet: auf einer alten Ziegelsteinmauer am Busbahnhof, die „Klagemauer“ genannt wird, notiert ein fleißiger Bürger der Stadt seit 2018 die Namen derjenigen, die die Stadt Richtung Ausland verlassen.
Hochburg der politischen Rechten
2018, exakt 50 Jahre nach der Unterzeichnung des einzigen deutschen Arbeiteranwerbeabkommens mit einem kommunistisch regierten Land, Jugoslawien, zu dem Kroatien zwischen 1945 und 1991 gehörte. Schon damals standen Gastarbeiter*innen unter Verdacht, antikommunistisch, gar Anhänger der kroatischen Faschisten zu sein, die den Krieg gegen die jugoslawischen Partisanen verloren hatten.
Insbesondere Imotski gilt nicht nur als Hochburg der Mercedesse und der Auswanderer, sondern auch als Hochburg der politischen Rechten. Noch in den Nuller Jahren gab es in der Innenstadt das „Café Adolf“ – die umjubelten Auftritte des rechten Rockbarden Thompson dort sind legendär.
Kroaten im ausländischen „Exil“ waren zu jugoslawischen Zeiten die Basis für die Rechte Kroatiens. Doch gerade im Fall Imotski weisen Historiker darauf hin, das Tito selbst dazu beitrug, diese Rechten zu stärken: Statt in dieser karstigen Gegend in die Infrastruktur und Urbanisierung zu investieren, war der kommunistische Staat froh, die unzuverlässigen Provinzler*innen loszuwerden und auf diese Weise auch dem Versprechen der Vollbeschäftigung ein Stück näherzukommen.
Weil die Leute aus Imotski ausgeschlossen waren von Modernisierung und Industrialisierung des eigenen Landes, sei ihre Ablehnung Jugoslawiens und ihre nationalistische Hoffnung auf das unabhängige Kroatien in den 1990er Jahren so groß – meint der Publizist Jurica Pavičić. Die Leute aus Imotski hätten Jugoslawien nichts, Deutschland hingegen alles zu verdanken.
Deutschlandfahnen wehen an diesem ersten Juni-Samstag rund um das Gastarbeiter-Denkmal überall. Die angekündigte Angela Merkel kam aber doch nicht nach Imotski, und auch sonst kein Vertreter der deutschen Regierung. „Diese Leute haben mit ihren eigenen Händen Deutschland aufgebaut und ihre Rücken kaputt geschuftet. Heute interessiert sich keine Sau mehr für sie“, sagt ein Passant. „Eine Schande.“
Von der kroatischen Regierung war übrigens auch niemand da. Man könnte mutmaßen, dass sich niemand den Leuten aus Imotski aussetzen wollte, deren Hoffnung auf Wohlstand auch im unabhängigen Kroatien enttäuscht wurde und sie sich erneut auf dem Weg ins Ausland machen.
Bevor an diesem Juni-Samstag ein Priester auf dem Platz der Auswanderer Imotskis das enthüllte Mercedes-Denkmal weiht, spielt das Mandolinenorchester Imotski noch die Erkennungsmelodie der alten Fernsehserie „Bettler und Söhne“.
Der Bettleraufsteiger Matan, Hauptfigur der Serie, hat längst auch schon ein Denkmal aus Stein in Imotski. Es steht vor dem Park Shop, einer modernen Einkaufs-Mall der Stadt, sozusagen die Nachfolgerin der legendären Bettler und Bauchladenverkäufer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland