Australierin will in Berlin bleiben: Auf Jobsuche per Großplakat
Weil sie keine Arbeit hat, soll die Australierin Kerry Kempton bis 10. Oktober Deutschland verlassen. Jetzt sucht sie nach einer Stelle - mit außergewöhnlichen Mitteln.
Das Plakat im U-Bahnhof Wittenbergplatz fällt ins Auge. "Rettet mich", fordert Kerry Kempton, die lebensgroß mit blauem Rock und roten Schuhen auf die Fahrgäste schaut. "Ohne Job werde ich am 10. 10. 2011 ausgewiesen" steht daneben, darunter eine Webadresse. Seit ein paar Tagen sucht die Australierin mithilfe des Großplakats und ihres Blogs rettetmich.wordpress.com eine Arbeit. Bislang ohne Erfolg.
"Ich liebe Berlin und habe hier tolle Freunde", sagt die 34-Jährige. "Ich will nicht weg." Kempton lebt seit zwei Jahren in der Hauptstadt. Bleiben durfte sie, weil sie in Sprachschulen Deutsch lernte. Jetzt spricht sie Deutsch, zwar mit Akzent, aber auf C2-Niveau, der höchsten Schwierigkeitsstufe beim Sprachtest. "Ich könnte mich für ein Bachelorstudium an der Uni einschreiben, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen", sagt Kempton. "Aber ich habe schon zwei australische Universitätsabschlüsse: einen Bachelor in Tourismuswirtschaft und einen Abschluss im Postgraduiertenstudium Businessmanagement." Sie will lieber arbeiten statt studieren, möglichst in der Tourismusbranche. Und eben nicht in Australien.
900 Euro investiert
Dafür hat Kempton keine Kosten und Mühen gescheut. Nicht nur am Wittenbergplatz hängt ihr Plakat. Auch an der U-Bahn-Station Kochstraße sucht sie seit zwei Wochen einen Arbeitgeber. 900 Euro hat sie für die Plakate und den Fotografen bezahlt - der Rest ihres ersparten Geldes, das sie in Australien als Reisebürokauffrau und Restaurantmanagerin verdient hatte.
Seit Anfang September schläft sie auf der Couch ihrer besten Freundin, um Geld zu sparen. "Es ist nicht so toll, aus dem Koffer zu leben", sagt Kempton. "Aber ich weiß ja nicht, ob ich bleiben kann." Möglich wäre es. Denn die Idee, per Großplakat auf Jobsuche zu gehen, ist in Berlin noch etwas ganz Neues. Die 34-Jährige hat sie von einem Australier abgeschaut, der in Irland auf die gleiche Weise eine Stelle suchte - und fand.
Wäre Kempton EU-Bürgerin, wäre vieles einfacher. Dann könnte sie ungehindert in Deutschland leben und arbeiten. Als Australierin ist das wesentlich schwieriger. Entweder Kempton findet einen Job oder sie macht sich selbstständig.
Für die Selbstständigkeit fehlt ihr aber das Geld: 250.000 Euro müsste sie investieren und fünf Arbeitsplätze schaffen. Also schreibt sie Bewerbungen. "Ich habe bestimmt schon 60 abgeschickt", erzählt die Australierin. Dreimal wurde sie zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, dreimal erhielt sie eine Absage. Woran es lag, weiß sie nicht. Einmal habe man ihr gesagt, man scheue den bürokratischen Aufwand mit der Ausländerbehörde.
Denn eine Aufenthaltsgenehmigung kann erst erteilt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat. Das kann mehrere Wochen dauern. Die Voraussetzung: Kerry Kempton muss so viel Geld verdienen, dass sie ihren Lebensunterhalt ohne die Hilfe des deutschen Staates bestreiten kann. Außerdem prüft die Arbeitsagentur, ob es deutsche ArbeitnehmerInnen oder ihnen gleichgestellte EU-BürgerInnen gibt, denen die Stelle vorrangig anzubieten wäre.
Um bei den vielen Regelungen den Überblick zu behalten, hat Kempton eine Anwältin beauftragt, die ihr mit der Ausländerbehörde hilft. "Es ist so frustrierend, nicht bleiben zu können, obwohl ich will." Bliebe noch der Vorschlag eines türkischen Berliners, der Kempton auf ihr Plakat hin eine E-Mail geschrieben hat. "Er meinte, ich solle einen Mann dafür bezahlen, dass er mich heiratet", erzählt die 34-Jährige lachend. "Aber man sollte ja wohl verliebt sein!"
Und wenn es trotz allem nicht mit einem Job klappt? "Dann fliege ich zurück nach Australien", sagt Kempton. Sie könne dann ein wenig Geld verdienen und später mit einem Touristenvisum nach Deutschland zurückkehren, um weiterzusuchen. "Meine Eltern würden sich sicherlich freuen, wenn ich sie mal wieder etwas länger besuchen würde."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?