piwik no script img

Ausstieg oder Konversion?

Umweltschützer fordern Ausstieg aus der umweltschädlichen Chlorchemie / Selbst die Industrie ist offen für Konversion / Blockade nur bei PVC  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Die Chlorchemie ist mit einem Umsatz von über 100 Milliarden Mark der größte Bereich der chemischen Industrie. Verschiedenste Produkte kommen aus den Giftküchen: PVC für Verpackungen oder Fensterrahmen, Lösemittel für Textilien- und Metallreinigung, Pestizide wie Lindan, Bleichmittel für Papier, Flammschutz, Desinfektionsmittel und und und. Zugleich entstehen bei der Herstellung hochgiftige Stoffe wie Dioxin, DDT, oder PCP, das als Bestandteil von Holzschutzmitteln viele tausend Menschen vergiftet hat. Auch der Ozonkiller FCKW hat hier seinen Ursprung.

Chlorverbindungen sind oft leberschädigend oder krebserregend und in der Natur kaum abbaubar. Sie belasten Böden und Grundwasser und gefährden bei der Produktion die Arbeiter. Die Umweltverbände fordern deshalb einen Ausstieg aus der Chlorchemie.

Kein einfach umzusetzender Wunsch – denn bei 60 Prozent aller chemischen Produkte ist Chlor im Spiel. Unweigerlich kommt daher von seiten der Industrie wie auch der Gewerkschaften das Argument, ein Ausstieg aus der Chlorchemie sei wegen der damit einhergehenden Vernichtung von Arbeitsplätzen unmöglich. Erstaunlich nur, daß niemand so recht sagen kann, wie viele Arbeitsplätze von der Chlorchemie abhängen. Nicht einmal in den betroffenen Unternehmen selbst scheint man es genauer zu wissen. Peter Kripzak von der IG Chemie glaubt, daß es 300.000 Jobs sind; das wäre die Hälfte aller Chemiearbeitsplätze in Deutschland.

Doch solche Schätzungen sind nur bedingt aussagefähig. Die meisten Arbeitsplätze in der Verarbeitungsindustrie sind nämlich nicht zwangsläufig von der Chlorproduktion abhängig. Andreas Ahrens vom Institut für Ökologie und Politik in Hamburg gibt ein Beispiel: einem Folienhersteller kann es schließlich egal sein, ob seine Tüten und Planen aus PVC oder aus Polyethylen sind. Vor wenigen Tagen erst hat zum Beispiel der weltweit zweitgrößte Hersteller von Fußbodenbelägen, Tarkett, angekündigt, künftig statt PVC- Böden ein Produkt auf Polyolefin- Basis herzustellen. Arbeitsplätze gehen dadurch nicht verloren. Eine ökonomische Analyse, wo Betriebe tatsächlich von der Chlorproduktion abhängig sind und bei einem Ausstieg in wirtschaftliche Bedrängnis gerieten, habe die Gewerkschaft nie vorgelegt, kritisiert Ahrens.

Zwischen den Umweltverbänden mit ihrer Forderung nach dem Ausstieg aus der Chlorchemie und der Industrie mit ihrem Wunsch nach ungehindertem Weitermachen ist es in letzter Zeit dennoch zu einer Annäherung gekommen – Stichwort „Konversion“. Die IG Chemie und die Hersteller von chlororganischen Produkten, in Deutschland sind das in erster Linie Hoechst, Bayer, Dow Chemical und Hüls, sind sich mittlerweile einig mit den Umweltverbänden, daß Chlorprodukte praktisch überall zu ersetzen sind. Diese Entwicklung ist neu. Noch vor wenigen Jahren wurde behauptet, eine Substitution von chlororganischen Produkten sei in den meisten Fällen nicht möglich.

Nun geht es darum, zu präzisieren, was unter Konversion zu verstehen ist. Welcher Zeitrahmen soll gesetzt werden? Soll die Chlorverwendung in geschlossenen Systemen weiterlaufen? Ist Recycling, etwa von PVC, sinnvoll (siehe nebenstehenden Kasten)? Bei all diesen Fragen gibt es auch innerhalb der Umweltbewegung noch keinen Konsens.

Aber nicht nur Druck von Umweltgruppen fördert die Einsicht der Industrie in die Notwendigkeit einer Umstrukturierung. Vor allem gesetzliche Einschränkungen führen zu Innovationen. Nach der zweiten Immissionsschutzverordnung dürfen zum Beispiel Textil- Reinigungen chlorhaltige Reinigungsmittel wie PER nur mehr in geschlossenen Systemen nutzen – eine drastische Reduzierung des Verbrauchs war die Folge. Und der Ausstieg aus der FCKW-Produktion muß laut Verordnung bis 1995 abgeschlossen sein. Die Hoechst AG hat ihre FCKW-Produktion seit 1986 bereits um 60 Prozent auf circa 30.000 Tonnen im Jahr zurückgefahren. Arbeitsplätze gingen dabei nicht in nennenswerter Zahl verloren: Nach Angaben eines Firmensprechers waren es nur etwa 20 bis 30.

Der Ausstieg aus einem Produktionszweig bedeutet nicht unbedingt dessen ersatzlose Streichung. Hoechst hat etwa 50 Milliarden Mark in die Entwicklung von FCKW-Ersatzstoffen investiert und damit die meisten Arbeitsplätze gesichert. „Wenn die Umstellung auf ein neues Produkt geschafft wird, hat das kaum Auswirkungen auf die Arbeitsplätze“, bestätigt Bayer-Sprecher Gerhard Stolper.

Beim PVC allerdings reagiert die Industrie sensibler. Der Kunststoffmarkt sei übersättigt; wenn die PVC-Herstellung eingestellt würde, würden vor allem ausländische Kunststoffhersteller den entsprechenden Marktanteil übernehmen. In Deutschland gingen dadurch viele Jobs verloren, drohen die Hersteller. Vor kurzem demonstrierten daher etwa 4.000 Beschäftigte der Kunststoffindustrie vor dem Wiesbadener Landtag. Anlaß des Protests war der Beschluß der hessischen Landesregierung, im öffentlichen Wohnungsbau kein PVC mehr zu verwenden. Aber tatsächlich wäre gerade bei der PVC-Produktion eine schrittweise Umstellung auch wirtschaftlich sinnvoll. Denn der PVC- Markt schrumpft seit längerem, weil der Stoff immer weniger für Verpackungen oder in der Automobil-Industrie eingesetzt wird, vor allem wegen der Schwierigkeiten einer Wiederverwertung. Im übrigen arbeiten in der Bundesrepublik nur etwa 6.000 Beschäftigte in der PVC-Produktion.

Auch in anderen Bereichen kann sich eine Konversion rechnen. Wo durch den Einsatz von Chlorchemikalien Altlasten entstehen, ist die Entwicklung und der Einsatz von Ersatzstoffen oft langfristig billiger als die Fortsetzung der alten Produktionsweise. Mannesmann benutzt aus diesem Grund zur Metallentfettung heute praktisch keine chlorhaltigen Lösemittel mehr.

Während über die Machbarkeit einer Umstrukturierung also durchaus Einigkeit zu erzielen ist, klaffen die Ansichten über die dazu notwendigen Schritte stark auseinander. Die Umweltschützer fordern die Verteuerung umweltschädigender Produktionen und gesetzliche Vorgaben, während die Industrie auf freiwillige Vereinbarungen setzt. Daß Zwang aber notwendig ist, läßt sich am FCKW- Ausstieg und der Umstellung bei der Reinigung mit chlorhaltigen Lösemitteln nachweisen: ohne entsprechende Verordnungen wäre hier nicht genug passiert.

Primäres Ziel muß in jedem Fall sein, alle Dioxinquellen auszuschalten und den Eintritt von schwer abbaubaren Chlorchemikalien in die Umwelt zu verhindern. Die wichtigste Maßnahme hierfür wäre die gesetzliche Beschränkung der Chlornutzung auf geschlossene Systeme. Zu den möglichen Instrumenten gehören aber auch eine Erhöhung der Entsorgungsgebühren für Problemstoffe, Verwendungsbeschränkungen oder Verbote bei besonders gefährlichen Stoffen sowie Risikozuschläge für Chlorchemikalien, um die spezifischen Risiken einer Dioxinfreisetzung bei Deponie- oder Gebäudebränden abzudecken.

Mit der Kombination aller Strategien könnte nach Einschätzung der Umweltverbände die Verwendung von frischem Chlor um bis zu 80 Prozent gesenkt werden. Das wäre zwar nicht der völlige Ausstieg, aber ein erreichbares Ziel – und eine große Entlastung der Umwelt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen