Ausstellungsempfehlungen für Berlin: Malerei von unten
Tipps der Woche: Farbkontakt meets Trägerstoff mit Evan Nesbit in der Galerie Weiss Berlin und mit Nick Dawes bei 68projects.
Im Englischen bedeutet „pressure“ Druck, aber auch Dringlichkeit. Folgt man dieser Spur, so spricht aus Evan Nesbits neuer Werkgruppe, die er während seiner Residenz bei weiss berlin gestaltet hat, die Nachdrücklichkeit einer abstrakten Farbfeldmalerei, die ohne den Umweg eines Pinsels den direkten Kontakt zwischen Farbe und Leinwand sucht.
Als Träger dient Nesbit unbehandelte oder in Färbemittel getauchte Jute, durch die sich Acrylfarbe und Tusche autonome Wege an die Oberfläche bahnen. Wie sehr die Farbe von unten durch die Leinwand dringt, hängt von ihrer Konsistenz, insbesondere aber von der Intensität ab, mit der Nesbit die Jute auf die Farbe presst, die er auf glattem Untergrund oder über Kanten und Ecken verteilt.
Die Arbeit „Post Hope“ lässt minimalistische schwarz-weiße Formationen zwischen den orange strahlenden Pigmenten hervortreten. Wie die Gemälde am Ende aussehen, kann Nesbit nur über die Rückseite des Sackleinen erahnen, das er an einigen Stellen vorbehandelt, so dass die Farbe in mehreren Durchläufen immer andere Wege geht, gestoppt wird und umgeleitet zu Stellen, an denen sie sich durch die Netzstruktur nach Außen befreien kann.
Das Hervortreten der Farbe aus dem Bild findet seinen haptischen Spiegel in den Nähten, mit denen Nesbit seine Leinwandstücke zusammenhält, insbesondere aber im Ziehen und Zerren des Stoffs nach allen Seiten. Diese Oberflächenspannung überträgt sich im Moment des Betrachtens unmittelbar und: nachdrücklich.
Farbpräsenzen aus freiem Guss
Ebenfalls in der Horizontalen, allerdings mittels großzügig auslaufender Ölfarbe auf rohe Leinwand gegossen, wachsen Nick DawesFarbsäulen nun an den Wänden bei 68projects empor. „Präsenzen“ trifft die Wirkkraft dieser wesenhaften Flächen am besten, die von satten Blautönen bis zu hauchdünnem Grün reichen. Jede Gruppe begleitet ein schwarzes Element – schmaler als die anderen Stehlen oder aber die gesamte Bildmitte einnehmend.
Das Schwarz hält die Komposition zusammen und lässt dort, wo es ins Anthrazit übergeht, die darunter liegenden Schichten durchscheinen. Vor allem die großformatigen, gut zwei mal drei Meter großen Werke sind von einer Serenität, die Dawes meditativer Arbeitsweise entspricht. Vier bis sechs Arbeiten in dieser Dimension fertigt Dawes pro Jahr an. Jede Schicht, jede Abstimmung der Farbdichte ist mit Ruhe gegossen und intuitiv kombiniert.
Lynda Benglis Geste des freien Ausschüttens deutet sich an. Was bei ihr aus dichtem Latex resultiert, ist bei Dawes eine Bewahrung von Öl, das einem selten so zart begegnet. Diese delikaten Schichten, die teils nur noch einen Hauch von Farbe in sich tragen, wagen wir es, sie Aura zu nennen. Vielleicht ja im Sinne von Benjamins Umzirkung, in die jedes Ding – oder eben Wesen – eingesenkt ist.
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