Ausstellungsempfehlung für Berlin: Der Farbe wegen
„The Sound of Color“ in der Galerie M + R Fricke in Moabit verbindet frühe Recherchen zur Farbwahrnehmung mit zeitgenössischen Positionen.
Die aufgeschlagene Doppelseite zu Henry Flynts „Innperseqs Diagram“ in „An Anthology of Chance Operations“ (2. Aufl., 1970), die in der Ausstellung „The Sound of Color“ in der Galerie M + R Fricke in einer Vitrine ausliegt, ist in warmem Orange gehalten. Auf der linken Seite ist Flynts „inner endpoint super sequence“, für die das Akronym steht, gerahmt von darunter liegenden blauen Seiten, das Komplementäre sanft abgefedert durch einen Streifen Grau, der das Orange unmittelbar säumt.
Die Farbgebung in der von La Monte Young, Jackson Mac Low und George Maciunas herausgegebenen Anthologie zeugt von einer Sensibilität für die Beziehung von Farbwahrnehmung und anderen Sinnen, die auch beispielhaft für den Ansatz des von Hans-Jürgen Hafner kuratierten Ausstellungsprojekts ist.
Zu Grunde liegt der Ausstellung, die kunsthistorischen Beispielen der Farblehre in Verbindung mit künstlerischen Versuchen synästhetischer Systematisierung auf den Grund geht, eine Hinwendung zur Farbe der Farbe wegen.
Der Kalatog zur Ausstellung, der zum freien Download zur Verfügung steht, fungiert hier neben ausgestellten Publikationen als Archiv dieser Spurensuche. So ist zu erfahren, dass Flynt mathematische Axiome für eine Farb-Partitur vorschlug, die jedoch sofort wieder durch performative Anweisungen gebrochen wurden: nur ein „gekrümmtes, dickes Brillenglas, das feucht beschlagen sein muss“, durch das man wiederum in eine Lichtquelle schauen soll, ermöglicht das beabsichtigte Farberleben für kürzeste Zeit – es bleibt ephemer und unwiederholbar.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
M + R Friecke, „The Sound of Color“, Bis 30. 7., Di.–Fr. 12–18 Uhr, Sa. nach Vereinbarung, Beusselstr. 6
Beeindruckend auch Raoul Hausmanns erweiterte Pläne für das Patent für sein „Optophon“, an dem er seit Mitte der 1920er arbeitete. Der „Experimentator“, wie Hafner denn Dada-Künstler nennt, konzipierte den Apparat als einen Sinneswandler, der Licht in Ton konvertiert. Zunächst als nutzlos abgelehnt, konnte Hausmann gemeinsam mit dem Ingenieur Daniel Broido die Pläne, wie hier gezeigt, weiterentwickeln und sich 1936 im Exil das Patent sichern. Sein Erbe würde kinetisch arbeitende Künstler:innen wie Peter Keene noch lange beschäftigen.
Farbe auf komprimiertem Raum
In der Ausstellung treten solch frühere Überlegungen von Akteuren wie Flynt, Hausmann und Josef Albers mit zeitgenössischen Positionen von Ann Veronica Janssens, Julie Oppermann, Jenny Perlin und Heimo Zobernig in Beziehung.
Im ersten Raum hängt an der rechten Wand eine Doppeltafel aus Josef Albers' „Interaction of Color“. Dem großformatigen Schuber im Leineneinband, der 1963 im Verlag der Yale University erschien, lagen neben dem Textteil diese Schautafeln bei, die sich entnehmen und auffalten ließen. Wie viel anschaulicher und haptischer das im Vergleich zum später erschienen kompakten Taschenbuchformat war (2013 brachte die Yale University Press noch einmal eine 50th Anniversary Edition heraus), dessen wird man sich in der Ausstellung sofort gewahr, waren doch einige der Tafel reliefartig designed, so dass sich das schräg aufgesetzte Lila noch einmal doppelt vom darunter liegenden Schwarz, Orange, Weiß und Helllila abhebt.
Umgekehrt hat aber auch die Reduzierung der Dimension interessante Effekte. Die sonst so raumgreifend und immersiv arbeitende Ann Veronica Janssens hat hier den Farbraum in einen 4:3-Monitor verlegt, auf dem sie die eigentlich als wandfüllende Projektion beabsichtigte Videoarbeit „Scrub Colour II“ (2002, 5:30 min.) zeigt. In diesem konzentrierten Bildraum übersteigen sich die in Farbkontrasten angelegten Rechtecke noch intensiver und schneller.
Mit Überreizung der Retina spielt auch Julie Oppermann auf ihren beiden großformatigen Gemälden „moire 1107“ und „moire 1101“ (beide von 2011), auf denen die Farbverläufe derart changieren, dass das Auge schwimmt. Sie überträgt Farbverläufe aus dem digitalen RGB-Spektrum händisch in akribisch angeordnete Acrylfarben. Der „Lost in Translation“-Effekt, der sich in der Übersetzung von digitalen Farben, die am durchleuchteten Bildschirm gut sichtbar sind, in analogen CMYK-Druck – oder eben in Acrylfarbe – einstellt, deutet sich im Katalog als Konflikt der Farblehre an, in der positivistischen Formel niemals ausreichen können, um subjektiver Farbwahrnehmung gerecht zu werden. Am schwersten tun sich Drucker übrigens mit der Übetragung von digital generiertem durchsättigtem Rot. Bei Oppermann, die auf „moire 1101“ Rot geradezu zentralisiert, ist das Resultat jedoch ein willkommenes, berauschendes Eintauchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid