Ausstellung zeigt US-Architektur: Beschützer der Moderne
Vielen Gebäuden der Nachkriegsmoderne droht im Zweifelsfall der Abriss. Eine Ausnahme: die von den Amerikanern entworfenen Ensembles. Eine Fotoausstellung zeigt ihren Wert.
Während auf der einen Seite des Bahnhofs Zoo mit dem Abriss des Schimmelpfeng-Hauses gerade ein Stück der Westberliner Nachkriegsidentität ausradiert wird, gerät im Amerika-Haus auf der anderen Seite des Bahnhofs ein besonderes Kapitel dieser Epoche ins Rampenlicht. Eine neue Ausstellung behandelt die von den Amerikanern in Westberlin hinterlassenen Gebäude. Das waren nicht alles "Geschenke der Amerikaner", wie es der Titel der Schau mit Architekturfotos von Mila Hacke verspricht. Das von Hacke konzipierte Projekt einer fotografischen Bestandsaufnahme der "Alliierten Präsenz in West-Berlin" umfasst ebenso die zahlreichen Umnutzungen vorhandener Gebäude, in denen sich die US-Schutzmacht in Berlin einrichtete.
Dazu zählt etwa der Flughafen Tempelhof. Die Amerikaner störten sich an der Nazi-Architektur offenbar wenig. Der Riesenbau wurde innen mit modernistischen Rasterdecken, Teppichboden und Polstermöbeln ausstaffiert. Beim Dahlemer Headquarter der American Brigade an der Clayallee, 1936 bis 1938 für Görings Luftgaukommando gebaut, residierten die US-Militärs in erhaltenem Nazi-Prunk.
Modernistisches Flair findet sich dagegen in jenen öffentlichen Bauten, die meist mit Hilfe amerikanischer Stiftungen für die Berliner errichtet wurden. Diese Gebäude der 50er-Jahre bilden die eigentlichen "Geschenke der Amerikaner". In den letzten vier Jahren hat Mila Hacke Häuser wie die alte Kongresshalle im Tiergarten, das Benjamin-Franklin-Klinikum in Steglitz oder das Studentendorf Schlachtensee mit ihrer Großbildkamera besucht. Im Verein des Studentendorfs und beim TU-Professor Adrian von Buttlar fand sie zwei Projektträger für die Ausstellung. Ein Dutzend weitere Unterstützer, von der US-Botschaft bis zum Deutschlandradio, ermöglichten schließlich die Ausstellung, 60 Jahre nach dem Ende der Berlin-Blockade. Die Amerikaner waren in Berlin nie so populär wie zu Zeiten der Luftbrücke.
Sichtbarer Ausdruck der deutsch-amerikanischen Freundschaft waren auch jene Kulturbauten, die in Westberlin für amerikanische Ideale warben. Da wäre zum Beispiel die Amerika-Gedenkbibliothek (AGB). Mila Hackes sachliche Farbfotos zeigen vor allem eines: Modernität. Die Adaption des International Style verband sich gerade in Berlin mit dem Bekenntnis zu demokratischen Werten. Eine Bibliothek als Ort der Volksbildung erfüllte auch ideologisch diese Rolle hervorragend, vor allem wenn - erstmals in Deutschland - den Benutzern die Freiheit zustand, sich selbst aus den Regalen zu bedienen.
Auch beim Henry-Ford-Bau für die Freie Universität liefert die Architektur den Ausdruck freiheitlicher Gesinnung. Als ideelles Zentrum der nach amerikanischem Vorbild angelegten Campus-Universität (und Gegenbild zur stalinistischen Humboldt-Uni im Osten) setzt der Bau mit seinen Fensterwänden auf Offenheit, ohne auf ein gewisses Pathos durch monumentale Stützen zu verzichten.
Das 1954 durch die Henry Ford Foundation spendierte Gebäude mit Audimax und Hörsälen erstrahlt nach seiner Sanierung 2007 in neuem Glanz. Auch im Studentendorf Schlachtensee wurden inzwischen zwei Gebäude herausgeputzt. Der Senat hatte noch vor zehn Jahren das inzwischen selbstverwaltete Areal zum Abriss freigegeben. Wie bei der 1957 als Beitrag der USA zur Interbau errichteten und 1980 eingestürzten Kongresshalle scheint der Status als Symbol der deutsch-amerikanischen Freundschaft geholfen zu haben, ein beredtes Zeugnis der Berliner Nachkriegsmoderne vor dem Verschwinden zu bewahren.
Auch das Amerika Haus, 1957 eröffnet und vorerst als Schaufenster der Stadtentwicklung der City-West vor Investorenzugriff gerettet, ist nicht nur ein mehr oder weniger hübsch dekorierter Kasten. Die abstrakten Motive der gekachelten Fassade dieses Bibliotheks-, Veranstaltungs- und Bürobaus stehen für die erklärte Konvergenz von Modernität und Freiheitlichkeit, auch wenn 1968 hier die Vietnam-Demonstrationen ihren Adressaten fanden.
Dabei wurden die allermeisten Bau-Geschenke der Amerikaner in Berlin von hiesigen Architekten ausgeführt. Dem Schimmelpfeng-Haus, obwohl in nämlicher Zeit, in gleicher Modernität und mit Sobotka/Müller sogar von den gleichen Architekten wie der Henry-Ford-Bau errichtet, fehlt leider die Patronage durch die Amerikaner. Gleichwohl hat der American Spirit durchaus nicht nur auf die von den Amerikanern initiierten und finanzierten Bauten abgefärbt. Der International Style, der sich auch im Berlin der 50er-Jahre als Architekturmainstream etablierte, ist schließlich als amerikanische Redefinition der Moderne zum kulturellen Bestand der westlichen Welt avanciert wie Blue Jeans und Coca-Cola. So erinnert diese Ausstellung eben daran, wie politisch Architektur sein kann.
Dass man die Nachkriegsmoderne nun in Berlin zu weiten Teilen zum Abriss freigibt, scheint anzudeuten, dass man mit den einstigen Idealen, die im Zeichen der amerikanischen Reeducation nach Westberlin kamen, offenbar nicht mehr viel anzufangen weiß. Ein Trost, dass wenigstens die originär amerikanischen Geschenke daran erinnern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!